Chicago, Sonntagabend, kurz vor dem Start des einstündigen United-Airlines-Flugs 3411 nach Louisville, Kentucky. Per Bordlautsprecher werden vier Passagiere namentlich zum Verlassen des Jets aufgefordert, der Flug sei überbucht. Ein 69-jähriger Arzt asiatischer Herkunft weigert sich, er habe am Morgen Patiententermine in Louisville. Sicherheitsleute zerren ihn gewaltsam von seinem Sitz, werfen den schreienden Mann auf den Rücken, schleifen ihn an den Armen durch den Gang, vorbei an Reihen laut protestierender Fluggäste. Als er aus dem Jet geworfen wird, blutet er am Kopf.
Ein Vorfall, wie er noch vor wenigen Jahren kaum je publik geworden wäre. Falls doch, hätte die Airline eine andere Version des Geschehens in Umlauf gebracht, Wort hätte gegen Wort gestanden. Im digitalen Zeitalter aber zückten Mitreisende ihre Smartphones und verbreiteten die Szene als Videoclip. Die Ungeheuerlichkeit war im Nu auf der ganzen Welt bekannt. Ein gigantischer Shitstorm erfasste die Airline, allein in China wurde der Clip 550 Millionen Mal gesehen. Es folgten Stornierungen und Boykottaufrufe, der Aktienkurs von United Airlines stürzte ab. Ein Sonderflug für den Arzt nach Louisville hätte einen Bruchteil dessen gekostet, was United an Schaden entstanden ist.
Gut möglich, dass der Vorfall den Airline-Chef seinen Job kosten wird. Oscar Munoz hatte die Bedeutung des Vorfalls grotesk unterschätzt und das Verhalten seiner Mitarbeiter in Chicago sogar noch verteidigt. Erst Tage später folgte eine Entschuldigung – zu spät, zu floskelhaft, zu wenig glaubwürdig.
Was die Geschichte zeigt: Viele Grossfirmen handeln noch immer in altbewährter Arroganz – und erkennen nicht einmal dann, dass ihnen ein solches Fehlverhalten in der Zeit der digitalen Kommunikation massiv schaden, sogar gefährlich werden kann, wenn sie sich schon längst rettungslos verrannt haben.
Kürzlich berichtete BLICK, wie ein SBB-Zugbegleiter in einem überfüllten Zug Soldaten über Mikrofon aufforderte, ihre Sitzplätze anderen Passagieren zu überlassen. SBB-Personenverkehrschefin Jeannine Pilloud twitterte darauf: «Wegen einer gut gemeinten Zugdurchsage gleich eine ganze Firma in die Pfanne zu hauen, ist armselig.» Stunden später machte sie, unter dem Druck nationaler Empörung, rechtsumkehrt und lieferte eine Entschuldigung nach.
Oft wird die Digitalisierung mit totaler Überwachung in Verbindung gebracht, mit Datenlecks und dem Ende jeder Privatsphäre. In den meisten Fällen aber ist die neue Transparenz ein Segen:
• Alle Fehlleistungen werden öffentlich: Vertuschen, Verwedeln und Verdrängen funktionieren nicht mehr.
• Alles wird bewertet: Genügt ein Hotel nicht, versagt ein Restaurant, schludert ein Transportunternehmen, dann verlieren diese Betriebe sofort Kunden, weil Tausende ihre Bewertung online stellen.
• Alles wird verglichen: Angebote, Bedingungen und Preise sind für jeden klar erkennbar, abzocken geht nicht mehr.
Freuen wir uns über diese neue Transparenz! Betrüger, Halsabschneider und Unfähige sollen sich nicht länger durchmogeln dürfen. Wie sagte doch Google-Chef Eric Schmidt? «Wenn es irgendetwas gibt, was man nicht über Sie wissen sollte, dann sollten Sie es vielleicht gar nicht erst tun.»