Stellen Sie sich vor, ein ganzes Dorf löscht ein brennendes Haus mit Wasser. Nur einer kippt von der anderen Seite Benzin in die Flammen.
So geschieht es gerade in Deutschland.
In Berlin, in München, in Hamburg protestieren Hunderte gegen die Corona-Massnahmen der Regierung. In Stuttgart waren es am Samstag 10'000 Menschen. Zeitgleich gab es auch Demonstrationen in Bern und Zürich.
Ein Schlag ins Gesicht für all jene, die sich seit Wochen zu Hause verschanzen. Aus Sorge um die eigene Gesundheit. Aus Angst um ihre Lieben. Oder schlicht aus Solidarität mit den Alten, den Kranken und all jenen, die genau das eben nicht können: das Pflegepersonal, die Kassiererinnen und Kassierer, die Buschauffeure.
Die Proteste bilden ein wüstes Sammelbecken von Verschwörungsideologen, Impfgegnern, Rechten, Linken, Wutbürgern und Menschen, die eine irrationale Angst um ihre Grundrechte über die Errungenschaften von Wissenschaft und Aufklärung stellen.
In Schwerin führten zwei Augenärzte die Demo an. Dass Arzt nicht gleich Arzt ist, belegt auch der Tweet eines Mediziners, der normalerweise Harnröhren untersucht: «Bin gerade in die Beatmungsgeräte eingewiesen worden. Ihr wisst, was das heisst: Haltet Abstand oder der Urologe beatmet euch!» Es hat einen Grund, warum das Medizinstudium sechs Jahre dauert – und die Facharztausbildung noch mal fast genauso lang.
Die Protestszene hat bekannte «Vordenker». Dazu gehören: der vor zehn Jahren wegen Antisemitismus beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk entlassene Aktivist Ken Jebsen, der wegen seines wirren Weltbilds berüchtigte Frontmann der Söhne Mannheims, Xavier Naidoo, und Vegan-Koch Attila Hildmann. In den sozialen Netzwerken befeuern sie die «Corona-Skeptiker».
Was bitte ist das überhaupt für ein Wort? Wie kann man einer globalen Pandemie «skeptisch» gegenüberstehen? Die Empfehlungen von Experten weltweit, der WHO und sämtlicher demokratischen Regierungen radikal anzuzweifeln, ist keine Meinung, sondern Idiotie. Wissen schafft kein Bekenntnis zum «Team Xavier», wie es etwa von Schauspieler Til Schweiger kommt, Wissen schaffen Fakten und wissenschaftliche Verfahren.
Manche Gewissheiten muss man annehmen können. Um es mit Peter Bichsel zu halten: Ein Tisch ist ein Tisch ... Und die exponentielle Verbreitung eines neuartigen und potenziell tödlichen Virus erfordert nun einmal ungewöhnliche Massnahmen.
Radikale Skeptiker, die in der Corona-Krise Grundwerte und Grundwissen einer solidarischen Gesellschaft anzweifeln, sind entweder asozial – oder sie spinnen. In beiden Fällen könnten sie sich vertrauensvoll in Richtung des nächstgelegenen Spitals begeben. Entweder, um sich gründlich untersuchen zu lassen. Oder um zu helfen, wenn Patienten verlegt und Tote bestattet werden müssen – ohne Schutzkleidung, versteht sich.