Vor einem Jahr schickten Parteien und Bundesrat den Rahmenvertrag mit der EU zum Teufel. Bürgerliche und Gewerkschafter hatten für einmal erfolgreich zusammengespannt.
Viel war damals die Rede von der Souveränität des Landes. Die Schweiz müsse in Eigenregie bestimmen können, unter welchen Bedingungen in Basel und Chiasso gearbeitet werde. Oder unter welchen Bedingungen ein Ausländer überhaupt in Basel und Chiasso leben dürfe.
Nur Bern und Bern alleine dürfe diese Leitlinien definieren, aber sicher nicht Brüssel und schon gar nicht irgendwelche Richter in Luxemburg. Denn das wäre ja nicht souverän.
Fragt sich nur, was die Schweiz mit dieser so mühsam gewahrten Souveränität anstellt. Die Bilanz seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine gerät zum Debakel.
Zwar ist kaum noch ein Politiker zu vernehmen, der angesichts der Verbrechen der russischen Truppen die Sanktionen gegen Moskau ernsthaft ablehnt. Darüber hinaus aber bleibt es auch eine Woche nach den ersten Berichten über das Grauen von Butscha oft bei wolkigen Statements.
Mit vereinten Kräften verhinderten FDP, Mitte und SVP in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats den Antrag auf ein Verbot des Rohstoffhandels russischer Firmen. Obwohl diese Konzerne ihre Geschäfte, die Milliarden in Putins Kriegskasse spülen, zu 80 Prozent über die Schweiz abwickeln.
Von der SVP ist in dieser Frage nichts mehr zu erwarten. In der Rechtspartei scheint das Festhalten an einer geschichtsblinden, aber umso geschäftstüchtigeren Neutralität identitätsstiftend zu wirken. Zugleich ist sie Balsam für den peinlichen Putin-Fetischismus einiger ihrer Promis.
Mitte und Freisinn indes fordern unisono eine härtere Gangart gegen den Kreml, nur um sofort nachzuschieben, warum gerade das besagte Handelsverbot nichts tauge. Mit durchweg prekären Argumenten: Die Russen würden ihre Geschäfte einfach verlegen, heisst es. Was bleibe, sei reine Symbolpolitik. Oder: Alleingänge nützten wenig, man müsse auf die Beschlüsse der Europäer warten. Überhaupt könne die Schweiz rechtlich nicht einfach auf eigene Faust Staaten sanktionieren.
Der letzte, nüchterne Einwand ist erstens nicht ganz unumstritten und zweitens Folge politischer Entscheide. So hat der Bundesrat schon vor Monaten ein griffigeres Embargogesetz still und heimlich schubladisiert. Nun kann Bern nicht sanktionieren, weil Bern entschieden hat, dass es das gar nicht können will. Bizarr.
Dass auch symbolische Entscheide durchaus ihre Wirkung entfalten können, zeigte ja die internationale Reaktion, als die Schweiz die Sanktionen der EU auf einmal ganz offiziell mittrug.
Statt aber den europäischen Partnern (!) in Sachen Verzicht und Entschlossenheit nur dieses eine Mal als Beispiel zu dienen, warten Bund und Parlament darauf, dass die EU einen Rank findet und das nächste, wie auch immer geartete, Sanktionspaket beschliesst. Dann wird man rasch nachvollziehen.
So richtig souverän halt.