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Meyer rät
«Männer sind nicht per se schlecht»

Überall ist zu lesen, dass während des Lockdowns Frauen stärker unter häuslicher Gewalt leiden würden. Warum wird in diesem Zusammenhang nie von männlichen Opfern gesprochen?
Publiziert: 18.04.2020 um 12:12 Uhr
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Aktualisiert: 08.05.2020 um 17:19 Uhr
Thomas Meyer nimmt Stellung zu Lebensfragen.
Thomas Meyer

Weil Gewalt gegen Männer in der allgemeinen Wahrnehmung praktisch inexistent ist. Man hört zwar von Foltergefängnissen, in denen Männer vergewaltigt werden, aber das passiert irgendwo in der Wüste. Man liest auch, dass 70 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt Frauen seien, aber unter den verbleibenden 30 Prozent kann man sich nichts vorstellen, weil eine prügelnde Gattin nicht dem gängigen Frauenbild entspricht. Überhaupt versteht man unter «Gewalt» ausschliesslich den Einsatz körperlicher Kräfte. Doch es gibt auch seelische Formen von Gewalt, etwa durch Hohn, Drohung, Erniedrigung oder Blossstellung. Den Opfern wird deren eigene Wahrnehmung hinterher gern ausgeredet («Du verstehst keinen Spass», «Du übertreibst»).

Es ist richtig, auf die alltägliche Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Es ist richtig, deutlich darauf hinzuweisen, dass nicht Eifersucht oder eine Trennung der Grund ist, wenn ein Mann seine Partnerin tötet, sondern Hass auf Frauen. Es ist richtig, das Patriarchat und seine Auswüchse zu kritisieren, namentlich die ewiggestrige Männerclique in Politik und Wirtschaft. Es ist aber auch dringend geboten, sich von der Vorstellung zu verabschieden, dass in jedem Mann ein Vergewaltiger und Unterdrücker stecke und dass häusliche Gewalt ein exklusiv männliches und physisches Phänomen sei. Männer sind nicht per se schlecht und Frauen nicht per se gut; sie sind im Gegenteil genauso oft grausam und brutal, meist halt ohne Fäuste. Gewalt ist ein geschlechtsloses Problem mit einer augenfälligen Facette und tausend versteckten. Darüber und über die Gründe müssen wir sprechen – und unsere Sprache auch hier anpassen: Es kann nicht
sein, dass wir «Mitarbeitende» sagen, weil «Mitarbeiter» die Frauen ausschliesst, bei häuslicher Gewalt als mögliche Täter aber nur Männer akzeptieren.

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