Lügen in der Politik – ein Patentrezept?
Widerstand wirkt

Um Macht zu erlangen sind in der Politik immer mehr Tricks erlaubt. Dazu gehören auch Lügen und Erpressung.
Publiziert: 01.02.2020 um 23:47 Uhr
Johannes von Dohnanyi, Auslandsredaktor.
Foto: Parwez
Johannes von Dohnanyi

Die Geschichte erlaubte sich einen bitteren Spass, als sie alle bösen Ahnungen der letzten Monate an einem Wochenende bestätigte. Ob Impeachment oder Brexit: Zum Erhalt der eigenen Macht sind von nun an Tricks, ­Unwahrheiten und Erpressung ­erlaubt.

Trotz aller Lügen darf in Washington Donald Trump weitermachen. Und im Nach-Brexit-London bleibt Boris Johnson am Ruder.

Vernunft als korrigierender Faktor im Gefüge demokratischer Gesellschaften, Anstand als heilende Kraft? Ach was – politische Lügen haben neuerdings sehr lange Beine.

75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz geht sogar die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der Nazis Stück für Stück verloren. Nationalistische und völkische Ideen haben wieder Konjunktur.

US-Konzerne und ihre sozialen Medien entziehen sich jeder Verantwortung für ihr Geschäftsmodell, das auf Empörung, Hass und Hetze gebaut ist. Hemmungslose Beschimpfungen und Gewaltfantasien gegen Politiker, die Verfolgung von Minderheiten und die Bedrohung von Journalisten zählen für sie zum Recht auf freie Meinungsäusserung.

Vor dem Referendum 2016 wurde die junge Labour-Abgeordnete Jo Cox von einem rechten Brexit-Fan auf offener Strasse erstochen. Vor den Parlamentswahlen im Dezember 2019 standen viele Oppositionspolitiker unter Polizeischutz.

In den USA drohten radikale Trump-Anhänger mit «Bürgerkrieg», sollte ihr Idol des Amtes enthoben werden. In Europa unterminieren Hetzer wie der ehemalige Präsidentenberater Steve Bannon die Zivilgesellschaften mit dem Geld totalitär gesinnter Milliardäre.

Die Wahlerfolge demokratiefeindlicher Parteien wie der deutschen AfD, der italienischen Lega und der ungarischen Fidesz zeigen:

Das Gift wirkt!

Jeder zweite Deutsche zweifelt inzwischen am Sinn der demokratischen Grundordnung. Jeder dritte Italiener leugnet die Shoah.

Und dennoch wäre es zu einfach, den Aufstieg von Trump, Johnson und ihren europäischen Geistesbrüdern der Trägheit der etablierten Parteien und ihrer Politiker allein anzulasten.

Demokratie ist kein Wettkampf lautstarker Krawall-Entertainer, sie lebt vom zivilisierten Streit auf ­allen Ebenen der Gesellschaft.

Wie das funktionieren kann, zeigt ausgerechnet im müde gewordenen Italien die erst im Herbst von vier jungen Menschen gegründete Bewegung der «Sardinen». Der siegessichere Matteo Salvini hatte angesichts ihres friedlich-leisen Aufstands gegen Hetze, Rassismus und reaktionären Nationalismus keine Chance: In der seit Menschengedenken links regierten Emilia-Romagna scheiterte der Volkstribun an der Urne.

Hass und Hetze sind in der Politik also doch kein Patentrezept. Lügen können sehr schnell wieder kurze Beine bekommen. Wir müssen es nur ­wollen!

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