Seit der US-Kongress gegen den US-Präsidenten ermittelt, ist nichts mehr normal in Washington. Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass Donald Trump die Auszahlung der bereits zugesagten Militärhilfe an die Ukraine von neuen Korruptionsermittlungen gegen seinen politischen Gegner Joe Biden abhängig machte, droht ihm das Impeachment, die Amtsenthebung.
Schon jetzt zeigt sich: Die letzte Supermacht der Welt ist aussenpolitisch gelähmt, vom Anspruch der USA auf die moralische Führung in der freien Welt ist nichts geblieben. Nach Trumps Verrat an den syrischen Kurden könnte es nun die Ukrainer treffen. «Eine fast schon mit Händen greifbare Unruhe liegt in der Luft», sagt der ukrainische Exiljournalist Aleksei Bobrownikow: «Wir wissen nicht mehr, inwieweit wir uns tatsächlich auf die USA als Partner verlassen können.»
Kein Frieden in Sicht
Der unerfahrene Präsident Wolodimir Selenski hatte im Wahlkampf einen «auf Augenhöhe» ausgehandelten «gerechten» Frieden in der Ostukraine sowie wirtschaftliche und soziale Reformen versprochen. In wenigen Monaten musste er begreifen, dass daraus nichts wird, solange der Krieg weiterköchelt, dem seit 2014 bis zu 15 000 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Keines der drängenden sozialen und ökonomischen Probleme ist gelöst. Der Kampf gegen die endemische Korruption scheint verloren.
Zum ersten Mal seit dem Austritt aus der Sowjetunion werden jetzt Zweifel an der geostrategischen Ausrichtung der Ukraine laut. Als Erster riet Medien- und Finanzoligarch Igor Kolomoiski dazu, die Träume von einem Beitritt zu EU und Nato aufzugeben und sich wieder an der Seite Russlands zu positionieren.
Sollte Kolomoiski in der Bevölkerung überhaupt nennenswerte Zustimmung für den Lagerwechsel seines Landes finden, drohen der Ukraine schwere innenpolitische Verwerfungen, im Extremfall bürgerkriegsähnliche Zustände.
Führt Normandie-Format zu Besserung?
Bisher galt Kolomoiski als milliardenschwerer Strippenzieher hinter Selenski. Der neue Präsident jedoch hat sich mittlerweile aus einer allzu engen Verbindung mit dem Oligarchen gelöst. Selenski, so heisst es in Kiew, zählt inzwischen stärker auf den ehemaligen Innenminister Arseni Abakow und dessen auch aus Rechtsextremen rekrutierte Miliz – eine riskante Verbindung: Abakow hat nie einen Hehl aus seinen Ambitionen aufs höchste Amt im Staat gemacht.
In dieser Lage soll am 9. Dezember ein neuer Anlauf unternommen werden, den Krieg in der Ostukraine zu beenden. Für diesen Tag hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Kremlchef Wladimir Putin und Ukraine-Präsident Selenski in den Élysée-Palast eingeladen. In Paris wird auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel am Tisch sitzen.
Grosse Erfolge hatte dieses sogenannte Normandie-Format noch nie. Nun aber scheint es, als könne sich Putin plötzlich flexibel zeigen: Weil die vom Westen verhängten Sanktionen schmerzen, begeistert der Krieg in der Ukraine die Russen nicht mehr so wie zu Beginn.
Der Abstieg der USA in die Bedeutungslosigkeit kommt Putin da gerade recht. Sein Kalkül: Gelingt es ihm, seine Karten am 9. Dezember in Paris richtig zu spielen, könnte ihm die abtrünnige Ukraine wie ein reifer Apfel in den Schoss fallen.