Das vielleicht Erstaunlichste am Nationalsozialismus ist seine Zählebigkeit. Das Denken der Nazis war nach dem Zweiten Weltkrieg zwar ein Minderheitenprogramm. Wirklich verschwunden ist es aber nie.
In Deutschland nicht und auch nicht in der Schweiz.
Im Sommer 1946 – ein Jahr nach dem Untergang des Dritten Reiches – wurde im bündnerischen Davos offen gegen Juden gehetzt. Der Hass richtete sich sogar ausdrücklich gegen Überlebende des Holocaust.
Ein Hilfswerk hatte Jugendlichen, die aus dem KZ Buchenwald gerettet worden waren, einen Kuraufenthalt in Davos ermöglicht. Dagegen liefen Vertreter des Hotelgewerbes Sturm. In der «Davoser Zeitung» rechtfertigte ein anonymer Autor per Leserbrief «die Abwehr gegen jüdische Überfremdung in Form antisemitischer Einstellung».
In einem weiteren Leserbrief hiess es: «Wenn eine Gruppe von Menschen, die Macht anstrebend, rücksichts- und hemmungslos und nur auf den eigenen Vorteil bedacht, sich wesens- und artfremd in der menschlichen Gesellschaft benimmt, stösst sie eben auf Widerstand. Die Lösung des Judenproblems liegt also bei den Juden selber.»
1949 stellte der Waadtländer Gaston-Armand Amaudruz in einem Buch den Holocaust infrage.
In den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren wurden in der Deutschschweiz immer wieder Hakenkreuze und SS-Runen an Wände und jüdische Grabmäler geschmiert.
Am 15. März 1979 verübten Rechtsextremisten einen Sprengstoffanschlag auf eine Zürcher Synagoge.
In den Achtzigerjahren machten Nazischläger das Mittelland unsicher. In der Innerschweiz formierte sich ein Ableger des Ku-Klux-Klan.
Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre verübten Nazis landesweit Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. 1990 gab es 27 Attentate, 1991 waren es 77, 1992 deren 42.
Bei einem Angriff auf ein Heim in Chur starben in der Nacht auf den 2. Juli 1989 vier Asylsuchende aus Sri Lanka, zwei Männer und zwei Buben.
Nein, die Nazis haben nie Ruhe gegeben. Sie waren stets eine Bedrohung: für einzelne Minderheiten und für den inneren Frieden im ganzen Land.
Was heute neu hinzukommt, sind die technischen Möglichkeiten. Dank Social Media treffen Personen zusammen, deren Wege sich ansonsten nicht so einfach gekreuzt hätten. Diese Leute bestärken einander in ihrer Gesinnung und potenzieren auf diese Weise die rechte Gefahr.
In der aktuellen Ausgabe des SonntagsBlick zeichnet Reporter Fabian Eberhard eine solche Gruppenbildung im Detail nach: von der ersten virtuellen Begegnung auf Facebook über das gemeinsame Spinnen von Gewaltfantasien bis hin zur Planung
konkreter Taten.
Zur Kenntnis nehmen sollte diese Recherche insbesondere der Nachrichtendienst des Bundes. Dort nämlich vertritt man die Meinung, dass von rechts keine Gefahr ausgeht.
So steht es im Jahresbericht 2018.
Das ist ohnehin eine Konstante im Umgang mit Nazis: Behörden und Politik haben diese Bedrohung in der Regel auf die leichte Schulter genommen.
Als 1989 in Chur vier Menschen ermordet wurden – verurteilte ein Bundesrat die Untat? Äusserte sich die Bündner Kantonsregierung?
Sie alle sagten dazu: nichts. Stattdessen trat die Bündner Regierung zwei Tage nach dem Anschlag vor die Medien. Sie protestierte gegen eine geplante Asylunterkunft des Bundes in der Region Surselva.