«Recht haben und recht bekommen sind zwei Paar Schuhe», sagt der Volksmund. Ein Grund sind die hohen Kosten. Zuerst denkt man dabei an die Anwälte. Aber den durchschnittlichen Zeitgenossen schröpft auch der Staat: Denn seit Inkrafttreten der Zivilprozessordnung muss ein Kläger die Gerichtskosten vorschiessen, vorher geht gar nichts. Bis 2011 war das anders, da konnte man im Kanton Zürich einen Prozess in der ersten Instanz gratis bis zum Urteil führen.
Die gesamtschweizerische Zivilprozessordnung hat ausserdem an den kantonalen Kostenunterschieden nichts geändert. Nehmen wir an, ein Unfallopfer macht einen Haftpflichtanspruch von 1,5 Millionen Franken geltend: Dann zahlt es erst einmal Gerichtskosten, und zwar je nach Kanton zwischen etwa 30'000 und 45'000 Franken; geht es in die zweite Instanz, kostet das weitere 35'000 bis 50'000 Franken, und beim Bundesgericht nochmals rund 15'000 Franken, dazu kommen die Kosten des eigenen Anwalts und die des Gegenanwalts, wenn der Prozess verloren geht. Am Ende zahlt der erfolglose Kläger zwischen 300'000 (ZH) und etwa 480'000 Franken (LU), die Gerichtskosten sind davon grosso modo ein Drittel. Wie soll sich das jemand leisten können, der 100'000 Franken im Jahr verdient und vielleicht nur 200'000 Franken Ersparnisse hat? Und warum ist derselbe Rechtsstreit im Kanton Zürich deutlich «billiger» als im Kanton Luzern?
Aber auch bei kleineren Streitwerten stehen die Kostenfolgen zumeist in einem ungünstigen Verhältnis zu den Risiken. Sie fordern zum Beispiel ein Darlehen von 100'000 Franken zurück. Ihr Kostenvorschuss ist im Kanton Zürich 8750 Franken, in Basel bloss 6000 Franken; beides ist viel Geld, wenn Sie 10'000 Franken im Monat verdienen, eine Familie zu ernähren und keine weiteren Reserven mehr haben. Selbst wenn Sie gewinnen, zahlen Sie die Gerichtskosten – die dürfen sie sich nämlich bei Ihrem Gegner zurückholen. Wenn dort nichts mehr zu holen ist, dann haben Sie zwar gewonnen, aber noch mehr Geld verloren. Das Gericht geht demgegenüber keine Risiken ein, seine Kosten haben Sie gedeckt.
Prozessieren kann sich also nur leisten, wer sehr viel Geld hat – oder gar keines. Denn wer mittellos ist, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, das heisst, er muss die Gerichtskosten nicht vorschiessen, und der Staat bezahlt den Anwalt. Der typische Mittelstandsangehörige mit Familie, ordentlichem Einkommen und keinem oder geringem Vermögen ist einerseits zu wenig reich, um sich einen Rechtsstreit zu leisten, und andererseits zu wenig arm, um von der staatlichen Unterstützung zu profitieren. Es gab schon Gerichte, die dem Kläger sagten, er könne die Hypothek auf dem Haus erhöhen. Das Gericht ist, übertrieben gesagt, nur noch für die Reichen und die Armen da.
Die anstehende Reform der Zivilprozessordnung will die Kostenvorschüsse reduzieren, zudem sollen sie zurückbezahlt werden, wenn der Kläger gewinnt. Aber die Kantone legen weiterhin die Gerichtsgebühren fest. Die Ungleichheiten werden nur verringert, nicht beseitigt. Es ist aber höchste Zeit, mit den Restbeständen von Föderalismus im Zivilprozess aufzuräumen.
Matthias Schwaibold ist Partner bei der Zürcher Kanzlei Rutschmann Schwaibold Partner. Als Lehrbeauftragter für Informations- und Medienrecht doziert er an der Universität St. Gallen. Schwaibold vertritt auch den Medienkonzern Ringier, der den Blick herausgibt, vor Gericht.