Vor einem Monat setzte das amerikanische Wirtschaftsmagazin «Forbes» die Silicon Valley Bank (SVB) auf Platz 20 der besten 100 Kreditinstitute der USA. Am 1. März sagte der CEO des Geldhauses an einer Konferenz: «Wir sind stolz darauf, in dieser Zeit grosser Herausforderungen der bestmögliche Partner zu sein.» Einen Tag später erhielt der Mann eine Auszeichnung für herausragende Leistungen im Bankwesen.
Am 8. März war die Silicon Valley Bank pleite.
Die SVB hatte einen grossen Teil ihres Vermögens ohne Absicherung in langfristige Anlagen investiert – doch plötzlich wurden grosse Summen abgezogen, die Bank musste ihre Titel mit extrem hohen Verlusten verkaufen. Weil seit der Finanzkrise 2008 in den USA keine Bank von dieser Grösse mehr dichtgemacht hatte, geht die Angst um, dies sei erst der Anfang. Namhafte Finanzanalysten betonen indes: Damit sich dieser Bankrott zu einer Systemkrise auswächst, müsste sich schon eine ganze Anzahl Institute solch groben Fehler geleistet haben. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» schreibt, dass «jeder Banklehrling» das Geschäft besser beherrscht als die vermeintlichen Cracks aus Kalifornien.
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Geschichte zu interpretieren. Die harmlosere der beiden fokussiert auf das spezifische Umfeld der Bank. Beim Silicon Valley handelt es sich um den bedeutendsten Hightechstandort der Welt. Der Name steht aber auch für eine Lebensweise, die etwas so Binäres wie Computerprogrammieren zur Religion erhoben hat. Wer Silicon Valley hört, denkt an Innovation und Disruption, an Schöpferkraft und Heldenmut.
Tatsächlich hat die 1983 gegründete Silicon Valley Bank früh unter anderem in Facebook sowie Uber investiert. Bis zuletzt war sie ein «Dreh- und Angelpunkt des Tech-Start-up-Ökosystems», wie die «New York Times» formuliert.
Das Motto von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg lautet: «Move fast and break things», sei schnell und brich Regeln. Es war Mark Zuckerberg, der die Privatsphäre einst als überholt bezeichnete und verkündete, seine Firma fühle sich nicht «gefangen von alten Konventionen» wie etwa dem Datenschutz. Der Fahrdienstvermittler Uber wiederum hält insbesondere die in Europa geltenden Rechte von Arbeitnehmenden für veraltet und hat sich in den letzten Jahren demonstrativ darüber hinweggesetzt.
Wer in einem solchen Biotop als «Dreh- und Angelpunkt» operiert, kann gar nicht anders, als irgendwann dem Glauben zu verfallen, dass die Gesetze der Schwerkraft für ihn ausser Kraft gesetzt sind. Eine Bank, die das Silicon Valley im Namen führt, muss fast zwangsläufig Dinge tun, die «jeder Banklehrling» für zu gefährlich erachten würde.
Man kann die Ereignisse der letzten Tage leider aber auch anders sehen. Denn vermutlich ist grenzenlose Selbstüberschätzung kein Alleinstellungsmerkmal der Techwelt. In jedem Fall wäre es zu billig, die prekäre Situation der Credit Suisse mit dem Crash der Silicon Valley Bank zu erklären. Die Probleme der CS sind hausgemacht – und da stellt sich die bange Frage, ob es am Ende vielleicht eben doch nicht nur ein paar wenige Häuser sind, deren Chefs glauben, sie bräuchten ihr Handwerk nicht zu beherrschen.
Immerhin, und das ist unser grosser Funken Hoffnung, haben die Verantwortungsträger in Politik, Verwaltung und bei den Notenbanken aus der Krisenkaskade der letzten Jahre gelernt – Finanzkrise, Eurokrise, Corona-Krise. Sie handeln heute schneller und beherzter als beim Untergang der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008, der Initialzündung der grossen Finanzkrise. Davon zeugen die von der Schweizer Finanzmarktaufsicht und der Nationalbank initiierten Übernahmegespräche zwischen UBS und CS.
Ob dieses Mal wirklich alles anders ist und wir alle noch einmal davonkommen, entscheidet sich erst in den nächsten Tagen und Wochen. Nach der Lehman-Insolvenz 2008 vergingen zwei volle Wochen, bis das globale Finanzsystem kippte (trotz vorangegangener Zwangsfusionen mehrerer amerikanischer Geldhäuser). Bis die UBS vor dem Kollaps stand, verstrich sogar ein ganzer Monat.