Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Will die Wirtschaft tatsächlich, dass Frauen erwerbstätig sind?

Solange die Unternehmen in ihren Angestellten ausschliesslich eine Ressource sehen, läuft etwas falsch in unserer Arbeitswelt. Für viele junge Eltern ist die Arbeitswelt eine bizarre Wirklichkeit voller Widersprüche und Konflikte.
Publiziert: 05.03.2023 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2023 um 16:43 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Im Dezember 2014 sagte Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl der «Aargauer Zeitung»: «Ich kann nicht im Detail sagen, wie die Arbeitswelt der Zukunft aussehen wird. Man muss aber realistisch sein. Einen fundamentalen Wechsel wird es nicht geben – auch darum, weil das Potenzial bei den Frauen begrenzt ist.» Es klang desinteressiert.

Vor einem Monat sagte Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder zu Radio SRF: «Wir müssen in den Unternehmen das Bewusstsein dafür schärfen, dass das unausgeschöpfte Potenzial der Frauenarbeit matchentscheidend ist.»

Economiesuisse hat mittlerweile also die Frauen als Ressource entdeckt. Die Dachorganisation der Schweizer Wirtschaft sieht sie als Mittel gegen den berüchtigten Fachkräftemangel und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Nur: Setzt sich Economiesuisse jetzt für die staatliche Förderung von Kindertagesstätten ein, über die der Nationalrat am Mittwoch debattierte – immerhin eine Vorlage, die es Müttern ermöglichen soll, weiterhin berufstätig zu sein? «Die Wirtschaft unterstützt eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf», teilte Economiesuisse vor der Beratung im Parlament mit. Doch: «Um die Finanzierung zu stemmen, muss die Vorlage redimensioniert werden.» Man empfehle darum lediglich ein «bedingtes Ja».

Keine Frage: Die Situation der Beschäftigten von heute lässt sich nicht einmal ansatzweise mit jener der italienischen Saisonniers in den 1960er-Jahren vergleichen. Im Kern trifft der berühmte Satz von Max Frisch allerdings nach wie vor zu: «Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.» Solange die Unternehmen in ihren Angestellten ausschliesslich eine Ressource sehen, läuft etwas falsch in unserer Arbeitswelt. Da braucht es auch niemanden zu wundern, wenn junge Mütter von ihren Vorgesetzten schikaniert und diskriminiert werden, wie es meine Kollegin Camille Kündig im aktuellen SonntagsBlick beschreibt.

Ja, die Wirtschaft fordert inzwischen lautstark, mehr Frauen sollen mehr Erwerbsarbeit leisten. Im Grunde aber will sie von diesen Frauen gar nichts wissen.

Der Nationalrat nahm die Kita-Vorlage am Ende zwar ohne die von Economiesuisse verlangten Kürzungen an. Der Gesetzesentwurf muss freilich noch die Beratung im Ständerat überstehen. Und selbst wenn dies gelingen sollte, bleibt die Arbeitswelt für eine Vielzahl junger Eltern eine bizarre Wirklichkeit voller Widersprüche und Konflikte. Zusätzliche und günstigere Kindertagesstätten allein lösen ihre Probleme nicht, unter Umständen können sie die sogar verschärfen, weil sie den Druck auf Frauen erhöhen.

Tatsächlich werden heute schon, wenn man der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen glaubt, «in keinem anderen Land so viele Säuglinge in Kitas und Tagesfamilien betreut wie in unserem Land». Grund dafür ist der im internationalen Vergleich ultrakurze Mutterschaftsurlaub von bloss 14 Wochen. Die Kommission plädiert deshalb dafür, dass Mütter und Väter nach der Geburt ihres Kindes eine Elternzeit von insgesamt 38 Wochen beanspruchen dürfen. Denn für Säuglinge, die ja noch keine Freundschaften mit Gleichaltrigen schliessen, sind externe Betreuungsstätten oftmals vielleicht doch eher nur «Kinderparkplätze», wie der verstorbene dänische Erziehungsexperte Jesper Juul einst formulierte.

Finnland gilt mit einer Elternzeit von 14 Monaten als der familienfreundlichste Staat Europas. Und das ist nicht alles: Bis das Kleinkind drei Jahre alt ist, können es Mutter und Vater wahlweise einer stark subventionierten Kindertagesstätte anvertrauen oder sich zu Hause selbst darum kümmern – wobei sie dann in den Genuss einer staatlichen Zulage kommen.

14 Wochen bei uns, 14 Monate respektive drei Jahre in Finnland: Man kann sich unschwer ausmalen, wie Economiesuisse auf die Forderung nach einer entsprechenden Besserstellung von Familien reagieren würde! Dabei müssen sich die Skandinavier keineswegs verstecken, wenn es um die Frauenerwerbsquote geht. Im Gegenteil: Finnland hat bedeutend mehr weibliche Führungskräfte als die Schweiz.

Allem Anschein nach weiss Finnland seine Ressourcen besser zu nutzen.

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