Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Warum gönnen Erfolgreiche anderen kein gutes Leben?

Es läuft viel schief in den Teppichetagen. Spitzenpolitiker und Top-Manager spüren sich selber und alle anderen nicht mehr. Ein erfolgreicher Bäcker sagt jetzt, wie Politik und Wirtschaft wieder ein menschliches Antlitz bekommen können.
Publiziert: 22.12.2019 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 29.12.2019 um 13:39 Uhr
Giery Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer

Auf unserer Redaktion reden wir gelegentlich vom «Gipfeli-Test». Es geht dann um die Frage, ob man dieses oder jenes Foto dem Zeitungsleser am sonntäglichen Frühstückstisch zumuten kann, ohne dass ihm das Croissant im Halse stecken bleibt.

Der Gipfeli-Test lässt sich natürlich auch in anderen Bereichen anwenden. In der Politik zum Beispiel. Wie steht es etwa um jene Ständeräte, die ausgesteuerten Arbeitslosen über 60 Jahren keine oder lediglich eine sehr mickrige Überbrückungsrente zugestehen? Der Bundesrat möchte eine solche Rente einführen, damit diesen Menschen der Gang zum Sozialamt erspart bleibt. Doch der Ständerat hat diese Pläne in der soeben zu Ende gegangenen Wintersession arg zerzaust.

Selbstverständlich besteht eine solche Politik keinen Gipfeli-Test!

Am vehementesten setzte sich der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser für die Kürzung der Übergangsrente ein. Noser sitzt unter anderem im Verwaltungsrat der Credit Suisse Asset Management Schweiz AG – warum gönnt dieser (erfolg-)reiche Mann jenen, denen es weniger gut geht, kein besseres Leben?

Ebenfalls den Appetit verschlägt einem, was diese Woche über die Spitze der CS publik wurde. Geschäftsleitungsmitglieder der Grossbank müssen offenbar jederzeit damit rechnen, dass sie im Auftrag ihres Arbeitgebers von Detektiven ausspioniert werden. Zu erfahren war auch, dass ein mittlerweile ausgeschiedenes Geschäftsleitungsmitglied zeitweise häufiger auf der Autorennstrecke anzutreffen war als im Büro. Der Manager nahm mit seinem Ferrari überall auf der Welt an Rennen teil, während er in der Bank ein rigoroses Sparprogramm durchführen und Stellen abbauen liess.

Da läuft etwas schief in Politik und Wirtschaft. Man fragt sich: Muss das so sein? Entspricht dies einfach dem Wesen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung? Dass jene, die es geschafft haben, sich selber und alle anderen nicht mehr spüren?

Nein, sagt Volker Schmidt-Sköries. Der Mittsechziger ist Deutschlands erfolgreichster Biobäcker. Der Chef von 150 Mitarbeitern hat soeben seine Autobiografie publiziert. Das Buch mit dem Titel «Der Bäcker und sein Brot» ist ein Plädoyer für eine menschenfreundliche Wirtschaft.

Für Schmidt-Sköries müssen sich geschäftlicher Erfolg und eine empathische Grundhaltung nicht beissen – im Gegenteil. Der Bäcker formuliert Sätze wie: «Der Profit kommt nicht vor der Ethik, sondern mit der Ethik.»

Dieser Mann ist beseelt von seiner Arbeit und schwärmt: «Wenn ich das heisse Brot aus dem Ofen nahm, konnte ich fühlen, wie es lebte.» Von dort kommt er zur Einsicht, dass auch seine «Bäckerei ein lebendiger Organismus» sei. Und schliesslich zu der Idee, dass jeder Chef «die Seele ins Zentrum eines Unternehmens» stellen soll.

Brot ist kein profanes Nahrungsmittel. Seit die Bewohner des ­heutigen Jordanien vor über 10 000 Jahren in der Wüstensonne erste Fladen aus Einkorn und Gerste backten, ist Brot gleichermassen religiös wie politisch aufgeladen. So gesehen hat es Biobäcker Schmidt-Sköries gewiss einfacher, seine ganz grossen Gedanken zur Wirtschaft zu entwickeln.

Und doch wäre es gut und bekömmlich für alle, wenn sich auch die Chefs in anderen Bereichen ein Stück von dieser Weltanschauung abschnitten.

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