Warum läuft Russlands Krieg gegen die Ukraine unter dem Buchstaben Z? Seit dieser Woche gibt es dafür eine weitere Deutung: Z steht für das Ende des Schreckensregimes von Wladimir Putin. Zumindest ist der Verbrecher im Kreml am Ende seines Alphabets angelangt und schlägt wild um sich.
Putins Herrschaft stützte sich bislang auf drei Pfeiler. Da ist der halluzinatorische Nationalismus mit einem gigantischen Propaganda-Apparat. Da sind Angst und Repression. Und da war ein unausgesprochener Gesellschaftsvertrag: Die Russinnen und Russen mischen sich nicht in die Politik ein, sie schweigen zu Wahlbetrug und Korruption und Menschenrechtsverletzungen, sie schweigen zum Krieg. Im Gegenzug lässt sie das Regime in Ruhe.
Am Mittwoch hat Putin diese Vereinbarung aufgekündigt. Mit der Mobilmachung zeigt er den Untertanen: Es genügt nicht mehr, wenn sie unter seiner Diktatur leben, ab sofort sollen sie für ihn sterben. Über kurz oder lang bekommen fast alle Familien in Russland den Krieg zu spüren. Hunderttausende werden aus ihrem Alltag gerissen und gezwungen, Seite an Seite mit Söldnern und Kriminellen in die Schlacht zu ziehen. Kreml-nahe Zeitungen berichten von einem akuten Mangel an Schützen, Fahrern und Kanonieren. Kanonenfutter trifft die Sache besser.
Können die verbliebenen Säulen Nationalismus und Repression das Regime alleine tragen? Das ist die entscheidende Frage der kommenden Wochen und Monate. Was für ein Ja spricht: Selbst der Massenmörder Stalin starb eines natürlichen Todes. Was für ein Nein spricht: Der Kreml steckt schon an der Ukraine-Front total in der Klemme – wie sollte er sich da zusätzlich an der Heimatfront behaupten können?
Die Einberufung verläuft zwar chaotisch, aber keineswegs so überstürzt, wie es den Anschein hat. Die russische Führung sandte in den letzten Wochen immer wieder Signale aus, dass ein solcher Schritt bevorsteht. In den ersten Septembertagen präsentierte sich Putin zum ersten Mal seit Jahren in der Militärjacke eines Generals. Vorletzte Woche dann forderten mehrere prominente Figuren eine Generalmobilmachung. Die Staatsmedien berichteten auf allen Kanälen – und bereiteten so das Terrain für die Befehlsausgabe vom Mittwoch.
Die Kreml-Medien haben nun auch die Aufgabe, den Leuten einzuschärfen, was die Stunde geschlagen hat. Während Putin selbst beschwichtigt und behauptet, es handle sich lediglich um eine «Teilmobilmachung», schreibt seine Lieblingszeitung «Komsomolskaja Prawda»: «Am 21. September sind wir in einem neuen Land aufgewacht, das keine Spezialoperation durchführt, sondern um seine Existenz kämpft.»
Ja, wie es aussieht, hat das Endspiel begonnen. Unzählige Menschen werden darin den Tod finden. Allerdings geht es nicht um Russland, sondern ausschliesslich um das Überleben des Präsidenten und seiner Entourage. In ihrem Grössenwahn haben die Tyrannen das eigene Schicksal immer schon mit jenem ihres Landes verwechselt.
Putins Rede an die Nation enthielt neben der Mobilmachung zwei weitere Punkte. Erstens drohte er mit dem Einsatz von Atomwaffen, zweitens erklärte er den Westen zum Hauptfeind. Beide Aussagen wirken verstörend und machen auch hierzulande vielen Angst. Letztlich wird die Sache für den Westen dadurch aber nicht schwerer, sondern einfacher.
Dass Putin angezählt ist und er jetzt damit droht, die ganze Welt in den Abgrund zu reissen, nimmt seinen Anhängern in Europa die letzte Hoffnung, ein Ausscheren vom bisherigen Sanktionskurs sowie eine Wiederannäherung an das Idol zu erreichen – da mag der Winter noch so kalt werden. Selbst wer für den Kriegsherrn im Kreml bis anhin Sympathien hegte (respektive im Falle der Schweiz strikte «Neutralität» forderte), wird es sich gut überlegen, ob er es riskieren will, sich früher oder später eindeutig auf der Verliererseite der Geschichte wiederzufinden.