Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Mütter an die Macht!

Soll auf Simonetta Sommaruga im Bundesrat auf jeden Fall eine Frau folgen? Am besten sogar, wie von der SP-Spitze empfohlen, eine Mutter schulpflichtiger Kinder? Dazu sieben Anmerkungen.
Publiziert: 13.11.2022 um 01:08 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2022 um 11:32 Uhr
Foto: keystone-sda.ch
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Erstens: Zwischen dem 1. November 2010 und dem 31. Dezember 2011 stellten im Bundesrat vier Frauen die Mehrheit – Micheline Calmy-Rey, Doris Leuthard, Eveline Widmer-Schlumpf, Simonetta Sommaruga. Es war diese Regierung, die den Ausstieg aus der Atomenergie in die Wege leitete. Die Minderjährige vor Missbrauch schützte und der Artenvielfalt höhere Priorität einräumte. Die den Banken schärfere Regeln auferlegte. Die Vermögen arabischer Diktatoren sperrte – wodurch die Schweiz zum ersten Land in Europa wurde, das eine solche Massnahme verfügte.

In jenen 426 Tagen mit Frauenmehrheit hatte unsere Landesregierung das letzte Mal, was man einen «guten Lauf» nennt. Genauer gesagt, den gemeinsamen Willen, etwas zu gestalten.

Zweitens: Trotz der hervorragenden Erfahrungen von damals spricht heute erstaunlicherweise niemand davon, im Bundesrat eine neue Frauenmehrheit zu etablieren. Es sollte aber zumindest ausser Frage stehen, dass die Anzahl der Männer in dem Siebnergremium nicht von derzeit vier auf fünf wachsen darf. Dass also am 7. Dezember wenigstens eine Frau gewählt wird.

Drittens: Natürlich müssen Frauen nicht die besseren Politiker sein. Das Beispiel der britischen Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss – Mutter zweier Töchter im Alter von 13 und 16 Jahren – zeigt eindrücklich, dass sie das auch nicht immer sind.

Aktuell stellt sich dieses Problem allerdings nicht. Denn mit Evi Allemann, Elisabeth Baume-Schneider und Eva Herzog bewerben sich drei Sozialdemokratinnen mit eindrücklichen politischen Qualifikationen für die Sommaruga-Nachfolge.

Viertens: Sollte mit der Berner Regierungsrätin Allemann wirklich eine Mutter schulpflichtiger Kinder im Bundesrat Platz nehmen, wäre das ein mehr als erfreulicher Fortschritt. Zum ersten Mal überhaupt dürften sich die Frauen hierzulande wirklich gleichberechtigt fühlen.

Fünftens: Ein solcher Erfolg darf den Druck auf die Mütter nicht weiter erhöhen, unbedingt Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. Möglich muss das heutzutage selbstverständlich sein. In vielen Fällen jedoch lassen es die Umstände schlicht nicht zu. Zudem sollen sich Mütter wie Väter um ihre Kinder kümmern dürfen, ohne deswegen als unproduktiv verunglimpft, diskriminiert und von einem schlechten Gewissen geplagt zu werden. Eltern sind die eigentlichen Leistungsträger unserer Gesellschaft.

Sechstens: Die Diskussion, ob eine Mutter schulpflichtiger Kinder Bundesrätin werden soll, wirft ein Schlaglicht darauf, wie stiefväterlich sich die Schweiz um Eltern und ihre Kinder kümmert. Sofern überhaupt von einer Familienpolitik die Rede sein kann, befindet sie sich doch bestenfalls im Embryonalstadium.

Kein Land in Europa gewährt den Frauen nach der Niederkunft einen derart kurzen Mutterschaftsurlaub wie die reiche Schweiz. Und im Anschluss zahlen die Familien Unsummen für die externe Kinderbetreuung. Noch dazu ist die Qualität der Kitas oft mangelhaft, weil sich schlecht entlöhnte Angestellte um viel zu viele Kinder kümmern müssen.

In der Schweiz gibt es ein Bundesamt für Landwirtschaft.

Es gibt ein Bundesamt für Rüstung.

Es gibt ein Bundesamt für Strassen.

Es gibt ein Bundesamt für Sport.

Es gibt kein Bundesamt für Familien.

Siebtens: Aber das ändert sich vielleicht ja bald.

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