Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Indiskretionen sind nicht das Problem

Indiskretionen sind nicht das Problem des Bundesrats, sondern lediglich ein Gradmesser für dessen Formstand. Die Regierung sollte aber gerade in Fällen von besonderer Tragweite ganz offiziell Transparenz darüber herstellen, wie Entscheidungen zustande gekommen sind.
Publiziert: 29.01.2023 um 00:02 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Unsere Landesregierung ist der Versuch, aus einem Quadrat – den Vertretern der vier grössten Parteien – einen Kreis zu bilden. Dass da nicht immer alles rund läuft, darf niemanden überraschen. Wobei: Angesichts dieser schwierigen Ausgangslage sind Konflikte im Grossen und Ganzen erstaunlich selten. Im letzten Jahr behandelte das Siebnergremium 2893 Geschäfte, die allermeisten gingen problem- und diskussionslos über die Bühne.

Umso stärker fällt dann aber auf, wenn diese Entscheidungsmaschine zu sehr unter Druck steht, mithin aus dem Takt gerät. Corona war eine historische Krise, die nicht nur Gesundheitsminister Alain Berset mitsamt Entourage an die Grenze brachte und womöglich unkonventionelle Wege gehen liess. Einzelne Bundesräte fanden sich allerdings auch jenseits der Pandemie von einem ungewöhnlich angespannten Umfeld herausgefordert: Der Erfolg der Grünen bei den letzten Nationalratswahlen hatte zur Folge, dass sich keines der vier Bundesratsmitglieder von FDP und SP wirklich sicher sein kann, im Dezember 2023 wiedergewählt zu werden. So wie 20 Jahre zuvor ein Bundesratssitz der CVP an die SVP gegangen war, müssen FDP und SP damit rechnen, einen Sitz an die Grünen zu verlieren.

Für die beiden Freisinnigen hat sich die Situation neuerdings entschärft: Weil sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf Alain Berset und die Sozialdemokraten richtet und weil die Prognosen der FDP für die Parlamentswahlen besser geworden sind. Zuvor jedoch war das Klima im Bundesrat über Monate von kaum verborgener Missgunst zwischen den Parteifreunden Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter geprägt. Die beiden Liberalen arbeiteten phasenweise ähnlich entschieden gegeneinander, wie es einst die CVP-Magistraten Joseph Deiss und Ruth Metzler getan hatten.

Eine unmittelbare, gravierende Folge dieser Konkurrenz war das abrupte Scheitern des Rahmenabkommens. Die damalige Justizministerin Keller-Sutter agierte so lange gegen Cassis’ Verhandlungen mit Brüssel, bis der Aussenminister die Nerven verlor und selbst den Stecker zog. Um einen Eindruck davon zu erhalten, welche Rolle in dieser zähen Auseinandersetzung Lecks und Indiskretionen spielten, braucht man sich bloss vor Augen zu führen, wie häufig «informierte Quellen» aus Bundesbern in den ersten Monaten des Jahres 2021 den Rahmenvertrag kritisierten und dessen baldiges Ende prophezeiten.

Gleichwohl sind Indiskretionen nicht das eigentliche Problem der Landesregierung. Sie sind lediglich ein Gradmesser für deren Formstand. Schliesslich gab es sie schon lange vor Covid und EU. Im Herbst 1945 teilte der damalige Schweizer Bundeskanzler Oskar Leimgruber dem Bundespräsidenten Eduard von Steiger seine Massnahmen mit, «um zu verhindern, dass Indiskretionen vorkommen und vertrauliche Sachen publik werden». Ein halbes Jahrhundert später griff die damalige Bundesanwältin Carla Del Ponte zu besonders krassen Mitteln, weil sie herausfinden wollte, wie der Inhalt amtlicher Dokumente aus dem Bundeshaus an die Öffentlichkeit gelangt waren: Sie überwachte die Telefone und Faxgeräte mehrerer Zeitungsredaktionen (darunter des Berner Büros von SonntagsBlick).

Ein gleichermassen erklärter Feind von Indiskretionen ist der heutige Bundesratssprecher André Simonazzi. Aber auch seine Bemühungen, das Bundesratszimmer von der Aussenwelt abzuschotten, gingen ins Leere. Denn der Kampf gegen Lecks ist reine Symptombekämpfung und in etwa so Erfolg versprechend wie die repressive Drogenpolitik früherer Tage, die das Drogenproblem bekanntlich nicht gelöst, sondern nur verschlimmert hat.

Anstatt sich wie heute geheimniskrämerisch zu geben und die Medien krampfhaft an der kurzen Leine führen zu wollen, wäre Vizekanzler Simonazzi als Kommunikationsverantwortlicher der Landesregierung gut beraten, deren Politik besser zu erklären. Der Bundesrat selbst sollte das Kollegialitätsprinzip neu interpretieren. Dazu gehörte gerade in Fällen von besonderer Tragweite offizielle Transparenz darüber, wie Entscheidungen zustande gekommen sind.

Nun will die Geschäftskommission des Parlaments unter anderem der Frage nachgehen, wie während der Pandemie welche Informationen aus dem Departement Berset zu Ringier-CEO Marc Walder gelangten. 1982 beschäftigte sich bereits einmal eine Geschäftskommission des Nationalrats mit bundesrätlicher Kommunikation und Indiskretionen. Die damalige GPK kam in ihrem Bericht zum Schluss: «In der Politik wird es immer zu Indiskretionen kommen. Rechtzeitige Information über alles, was die Öffentlichkeit interessieren könnte, ist der beste Weg, deren Bedeutung zu verringern.»

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