Es gibt eine Infrastruktur-Schweiz und eine Spar-Schweiz. Diese beiden Schweizen liegen miteinander über Kreuz.
Einerseits sind wir stolz auf unser gut ausgebautes Verkehrsnetz, Eisenbahn wie Strassen. Unser Gesundheitswesen und unsere Hochschulen, an denen weltweit bedeutende Grundlagenforschung betrieben wird. Andererseits gibt es viele, die sehen die Raison d’Être unseres Landes in einer niedrigen Staatsquote, das heisst in tiefen Steuern und wenig Ausgaben.
Um zu erfahren, welche Mentalität uns weiterbringt, kann man sich beispielsweise fragen: Warum unterhalten IBM und Google ausgerechnet in Zürich zwei wichtige Entwicklungsstandorte – wegen der tiefen Steuern oder doch eher wegen ETH und Universität?
So glänzend die Infrastruktur-Schweiz im Grossen und Ganzen heute noch dasteht, so sehr hat die Spar-Schweiz in den letzten Jahrzehnten an Boden gewonnen. Ein Beleg dafür ist der Erfolg privater Sicherheitsunternehmen, wie ihn mein Kollege Thomas Schlittler im aktuellen SonntagsBlick beschreibt. Unzählige Gemeinden nehmen deren Dienstleistungen in Anspruch, weil sie sich eine echte Polizei nicht mehr leisten können. Genauer: Weil sie sich diese nicht mehr leisten wollen. Oder wie es ein zürcherischer Gemeindepräsident einmal formuliert hat: «In Wettswil standen immer tiefe Steuern im Vordergrund und nicht möglichst viel Infrastruktur.»
Ob in Arlesheim, Kreuzlingen, Landquart, Thun oder eben Wettswil: Überall im Land lassen mehr und mehr Gemeinden Angestellte privater Sicherheitsfirmen auf Patrouille gehen. Sie verteilen Parkbussen, führen Personenkontrollen durch, schreiten bei Tätlichkeiten ein, sollen ein gutes Sicherheitsgefühl vermitteln. Je nach Einsatzort sind sie mit oder ohne Handschellen, Schlagstock und Pfefferspray ausgerüstet, in bestimmten Fällen können die Wächter auch Schusswaffen tragen.
Die Securitys kommen zwar daher wie Polizisten, es gibt allerdings einen bedeutenden Unterschied: Ihr Verdienst liegt um ein Drittel bis zur Hälfte tiefer. Auch die Arbeitsbedingungen sind oft bedenklich. SonntagsBlick berichtete früher schon von Mitarbeitern eines Sicherheitsunternehmens, die bis zu zehn Tage am Stück Dienst leisten mussten und kurzfristig selbst an Ruhetagen aufgeboten wurden. An diesen Zuständen hat sich, glaubt man der Gewerkschaft Unia, trotz Gesamtarbeitsvertrag nichts geändert. Im Gegenteil: Der Wettbewerb zwischen den Anbietern sorge für zunehmende Verschlechterung.
Die innere Un-Sicherheit ist nicht das einzige Anzeichen dafür, wie stark sich die Kräfteverhältnisse zwischen Infrastruktur-Schweiz und Spar-Schweiz verschoben haben. In unseren Schulzimmern ist es mittlerweile nichts Ungewöhnliches, wenn eine Lehrperson bis zu 30 Kindern gegenübersteht. Zugleich landen immer mehr Betagte in Alters- und Pflegeheimen, die von privaten Investoren betrieben werden und wo sich, weil das mehr Rendite bringt, weniger Pflegende um mehr Menschen kümmern müssen.
Mit anderen Worten: Die Ausdünnung des Staates geht mit einer Prekarisierung wichtiger Berufe einher.
Vertreter jener Gemeinden, die ihre Polizei-Aufgaben ganz oder teilweise ausgelagert haben, berichten mehrheitlich von sehr positiven Erfahrungen. Es kann aber auch vorkommen, dass ein Behördensprecher von einem derart gravierenden Zwischenfall erzählt: Da wollte der Angestellte einer privaten Sicherheitsfirma als besonders wachsam auffallen, indem er einen Brand entdeckte und löschte – ein Feuer, das er selbst gelegt hatte. Die Sache wurde nie publik gemacht, das Unternehmen entliess den fehlbaren Mitarbeiter und durfte im Gegenzug seinen Auftrag behalten.
Die Privatisierung öffentlicher Leistungen erscheint den Verfechtern der Spar-Schweiz als erstrebenswertes Ziel. In Wirklichkeit ist sie ein Spiel mit dem Feuer.