Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
EU? Ukraine? Trallali-trallali!

Die Beziehungen zur EU fransen aus, Putins Russland gefährdet den Frieden in Europa. Und die Politik tut so, als ob nichts wäre.
Publiziert: 12.03.2023 um 00:32 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Wie rechnet Pippi Langstrumpf? «Zwei mal drei macht vier, widdewiddewitt, und drei macht neune», singt der Kinderbuchstar aus der Feder von Astrid Lindgren. Denn: «Ich mach mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt.» Nach diesem Kalkül funktioniert auch die Schweizer Europapolitik.

Als der einstige FDP-Bundesrat Didier Burkhalter im Herbst 2017 zurücktrat, war an dieser Stelle zu lesen: «Ungeachtet aller Schwierigkeiten und Rückschläge sprach Burkhalter drei Jahre lang immerfort von einem unmittelbar bevorstehenden Durchbruch beim EU-Dossier.» Und wie tönt es heute? «Eine Lösung mit der EU ist in Griffweite», verkündete Ende Februar die «NZZ». Während die «Aargauer Zeitung» fragte: «Ist die Zeit reif, das Verhandlungsmandat in Angriff zu nehmen?»

Trallali-trallali-tralla-hopsasa.

Livia Leu, Staatssekretärin im Aussendepartement, hat die Erwartungen inzwischen zwar gedämpft, allerdings nur auf den ersten Blick. Am Dienstag sagte die Topdiplomatin nach einer weiteren fruchtlosen Visite in Brüssel: «Die Zeit für neue Verhandlungen ist noch nicht reif.» Mit diesem «noch nicht» suggeriert die Chefunterhändlerin für Gespräche mit der EU, dass die Schweiz lediglich zusätzliche Zeit braucht, um mehr für sich herauszuholen.

Dabei kreisen die Verhandlungen, Vorverhandlungen und Hinterzimmertreffen seit zehn Jahren stets ums Gleiche. Im Zentrum steht die Frage, wer in einem Streitfall zwischen der EU und der Schweiz in Zukunft entscheiden soll. Brüssel vertritt den Standpunkt, einzig der Europäische Gerichtshof in Luxemburg darf EU-Recht auslegen. In Bern dagegen möchte man zwar von einem privilegierten Zugang zu einem Markt mit 500 Millionen Menschen profitieren, fürchtet sich allerdings vor einer innenpolitischen Debatte über «fremde Richter» und verweigert sich dieser Bedingung kategorisch.

Zu Didier Burkhalters Zeiten mochte die Hinhaltetaktik ja noch hinhauen. Mittlerweile aber fransen die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU aus. Weil bestehende Verträge nicht erneuert werden, verliert die Schweiz allmählich den Anschluss ans benachbarte Ausland. Kommt hinzu, dass die EU gegenüber Grossbritannien vor wenigen Tagen durchgesetzt hat, dass sich Nordirland als Teil des EU-Binnenmarkts an die Auslegung des Europäischen Gerichtshofs halten muss. Wenn es für London keine Ausnahmen gibt, wird es sie für Bern genauso wenig geben.

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Russlands Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine macht die Lage der Schweiz nicht besser. Vor einem Jahr signalisierte Ignazio Cassis, die Eidgenossenschaft werde die Neutralität dahingehend anpassen, dass sie anderen Staaten die Weitergabe von Schweizer Kriegsmaterial an Kiew erlaubt. Leider nur schoss der Gesamtbundesrat den Antrag des Aussenministers mit sechs zu eins Stimmen ab. Diese Woche nun verweigerte auch das Parlament Kiew jede Art von Schützenhilfe. Sämtliche Anträge, die Weitergabe von Rüstungsgütern an die Opfer von Putins Krieg zu ermöglichen, scheiterten.

Der Schaden für die internationale Reputation der Schweiz ist enorm. Was hält man von einem Land, das in einer Kriegssituation erst Versprechungen macht, um dann der ganzen demokratischen Welt die kalte Schulter zu zeigen? Welche europäische Ministerpräsidentin, welcher Staatschef will einem derart unsicheren Kantonisten beistehen, wenn sich der – ob zu Recht oder zu Unrecht – von der EU-Kommission in die Ecke gedrängt fühlt?

Vor 33 Jahren endete der Kalte Krieg, drei Jahre später hatte sich die Sowjetunion aufgelöst. Damals diskutierten Bundesrat und Parlament intensiv über die künftige Stellung der Schweiz in der Welt, über die Neutralität und das Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft. Gewiss, bei der EWR-Abstimmung 1992 machte die Landesregierung taktische Fehler, an deren Folgen die Schweiz bis heute leidet. Aber immerhin war man sich der Verantwortung bewusst, bemühte sich um eine echte Zukunftsperspektive für die Zusammenarbeit mit Europa.

Heute versucht Putin, das Rad der Zeit zurückzudrehen und das russische Imperium wiederzubeleben. Sein Krieg gegen die Ukraine ist kein lokaler Konflikt, sondern eine Bedrohung für den Weltfrieden. Bloss haben unsere Politiker heute keine Lust, über die historische Dimension dieser Vorgänge nachzudenken. Man schliesst lieber die Augen und trällert Trallali-trallali-tralla-hopsasa.

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