Wie oft hat die SVP vor dem Untergang unserer schönen Schweiz gewarnt! «Kriminelle Ausländer», «Sozialschmarotzer», «Rentenbetrüger». Und immer wieder Brüssel. Alle wollen uns ans Leder.
Jetzt aber, da die Lage wirklich ernst ist und Corona unser Leben effektiv aus den Angeln hebt – jetzt hört man von der SVP: einige mehr oder minder bizarre Meldungen in eigener Sache. Sonst nichts.
Drei Jahrzehnte lang ordneten wir dem Wirtschaftswachstum alles unter. Es war die Ära des Neoliberalismus, von Deregulierung und Wettbewerb. Die Ökonomen und aktuellen Wirtschaftsnobelpreisträger Esther Duflo und Abhijit Banerjee sprechen von einer «Wachstumsbesessenheit», die ihren Anfang in den USA nahm und bald den ganzen Erdball erfasste.
Die Folgen dieser Besessenheit erfüllten hierzulande viele Menschen mit Sorge, unter die Räder zu geraten. Die SVP griff diese Ängste auf, ihre Wahlerfolge sind ein Fieberthermometer der neoliberalen Überhitzung. Zugleich jedoch waren gerade die SVP und ihre Exponenten Treiber dieser kaltherzigen Wettbewerbsgesellschaft.
Als Wirtschaftsmagnat predigte Christoph Blocher in den 1990er-Jahren das Shareholderprinzip. Er stellte den Gewinn der Aktionäre übers Wohl von Angestellten, Kunden und über unsere Umwelt. Auch ist Blochers SVP jene politische Kraft, die den Sozialstaat am vehementesten bekämpft.
So hat die Partei die Ängste der Menschen zwar angesprochen, die richtigen Antworten indes hat sie hintertrieben. Stattdessen präsentierte man Sündenböcke – eben jene «Schmarotzer» und Brüsseler Beamte.
Mit Corona stösst die bisherige Weltordnung an ihre Grenzen. Plötzlich müssen Staaten die Existenz ihrer Bürger retten. Plötzlich schwärmen sogar neoliberale Vordenker wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und WEF-Gründer Klaus Schwab vom Sozialstaat.
Wahr ist aber auch: Die aktuelle Gesundheits- und Wirtschaftskrise ist ein internationales Phänomen, das sich mit nationalen Alleingängen nicht lösen lässt. Wobei – das haben die letzten Monate ebenfalls gezeigt – die Schweiz weder auf die USA noch auf China setzen kann. Diese beiden Länder waren für hiesige EU-Gegner bis anhin eigentliche Sehnsuchtsorte: Mit welcher Wonne ist SVP-Finanzminister Ueli Maurer nach Washington und Peking gereist! Nun erleben die USA die schlimmste Krise seit Jahrzehnten. China bestätigt derweil nicht nur seinen Ruf als menschenverachtende Diktatur, sondern erweist sich ökonomisch als wenig robust.
Auch Brüssel hat in der Corona-Krise bislang keine Glanzleistungen gezeigt. Es ist offen, in welcher Form die EU die Folgen der Pandemie überstehen wird. Am Ende sind die Mitgliedsländer freilich zur Zusammenarbeit verdammt. Ebenso bleibt der Schweiz gar nichts anderes übrig, als sich der Macht der Geografie zu beugen: Unsere Abhängigkeit von der EU und vom europäischen Binnenmarkt wird wachsen. Klar ist schon heute, dass die Schweizer Wirtschaft von den Konjunkturmassnahmen im EU-Raum profitieren wird (während sich unsere Politiker sinnigerweise standhaft weigern, eigene Impulsprogramme zu beschliessen).
Wenn wir am 27. September über die Volksinitiative der SVP für mehr Distanz zur EU abstimmen, dann wirkt dieses Anliegen wie ein letzter Gruss einer untergehenden Epoche. Die Vorlage war schon vor Corona die falsche Antwort auf richtige Fragen – inzwischen stimmen nicht einmal mehr die Fragen.
Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.
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