Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Ausgerechnet Rösti könnte die Energiewende voranbringen

Grundsätzliche Vorbehalte von Links-Grün gegen Albert Rösti lassen sich nachvollziehen. Das ökologische Lager sollte jedoch ehrlich sein, wenn es die Motive für seine Skepsis benennt.
Publiziert: 27.11.2022 um 00:54 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Vielen Grünen graut es vor einem Umwelt- und Energieminister Albert Rösti. Schliesslich war der Favorit der SVP für den Bundesrat einst Präsident von Aves, einer mittlerweile liquidierten Lobbyorganisation für die Atomenergie. Bis vor kurzem war er Präsident von Swissoil, der Dachorganisation der Brennstoffhändler. Heute amtet er als Präsident von Auto Schweiz, dem Verband der Autoimporteure.

Allerdings trägt der Energiepolitiker Rösti noch einen weiteren Hut: Er steht dem Verband der Wasserwirtschaft vor. Und in der letzten Herbstsession gelang ihm das Kunststück, eine klare Mehrheit der SVP-Nationalräte für eine Solaroffensive zu gewinnen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die grösste Partei des Landes von Sonnenstrom partout nichts wissen wollen.

Politik ist manchmal paradox. Es war der damalige SVP-Justizminister und EU-Verächter Christoph Blocher, der den Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum vorantrieb. Es war die als «Atom-Doris» verschriene Doris Leuthard, die den Atomausstieg in die Wege leitete.

Mit Blick auf Röstis Solarcoup im Parlament stellt sich die Frage: Hat der Berner Oberländer womöglich auch das Zeug dazu, die grüne Energiewende voranzutreiben? Zumindest dürfte ein Bundesrat Rösti dazu beitragen, die Opposition seiner Partei gegen eine weniger schädliche Umwelt- und Energiepolitik spürbar einzudämmen.

Im links-grünen Lager aktuell besonders zu reden gibt, was Rösti im SonntagsBlick vor einer Woche sagte: «Ich würde mich für Technologieneutralität in allen Bereichen starkmachen – auch in der Energieproduktion. Deshalb würde ich mich auch für eine Streichung des KKW-Verbots verwenden lassen, aber entscheiden würde das Parlament.»

Frau und Herr Schweizer stimmten 2017 für den Atomausstieg. Der Ständerat lehnte im laufenden Jahr zwei Anträge der SVP ab, diesen Beschluss zu kippen. Sogar die Energiebranche selbst betont, sie wolle keine neuen Meiler. Und die atomkritische Schweizerische Energiestiftung schreibt auf Anfrage: «Albert Rösti hätte es in diesem Punkt als Bundesrat mit breitem Widerstand zu tun. Das Parlament will die Energiestrategie 2050 beschleunigen und endlich Nägel mit Köpfen machen. Auch Rösti hat hohen Ausbauzielen für erneuerbare Energien zugestimmt.»

Rösti weiss das natürlich selbst. Wenn er von Atomkraft spricht, meint er Anlagen der sogenannten vierten Generation. Die sollen teilweise alte Brennstäben wiederverwerten und sind Stand heute – Science-Fiction. Effektiv vorantreiben dürfte Rösti als Energieminister hingegen einen massiven Ausbau der Solar- und Wasserkraft. Es geht um eine Forcierung jenes Wegs, den das Parlament in seiner Herbstsession eingeschlagen hat.

Wenn das ökologische Lager von einem Energieminister Rösti etwas zu befürchten hat, sind es weniger dessen nukleare Luftschlösser als eine sehr konkrete Offensive beim (Aus-)Bau von Speicherseen und grossflächigen Fotovoltaikanlagen. Da zerfällt Links-Grün nämlich in zwei Teile: Auf der einen Seite stehen die Verfechter erneuerbarer Energien, auf der anderen Naturschützer, die vor einer Verschandelung von Landschaften warnen. Zwar könnte eine Solarpflicht für sämtliche Neubauten und bei Haussanierungen diesen Konflikt entschärfen; aus der Welt wäre er damit keineswegs.

Bislang konnten die Naturfreunde darauf setzen, dass ein starker Zubau erneuerbarer Energien auch von der Rechten bekämpft wird. Diese unheilige Allianz sorgte dafür, dass Vorhaben gar nicht erst an die Hand genommen wurden. Sollte ein Bundesrat Rösti die SVP aber tatsächlich dauerhaft von der Solarenergie überzeugen, entstünde eine völlig neue Dynamik.

Es ist verständlich, dass Vertreter von Links-Grün Albert Rösti mit Skepsis gegenüberstehen. In der Verkehrspolitik etwa gehen die Vorstellungen offensichtlich weit auseinander. In der Energiepolitik jedoch darf man sich nicht bequem hinter der Atomfrage verstecken. Auch ohne einen Bundesrat Rösti muss das ökologische Lager die lange schwelenden internen Spannungen zwischen Elektrizitätsförderern und Landschaftsschützern endlich offen ansprechen und ausdiskutieren. Es geht um nichts weniger als eine ehrliche Antwort auf die Frage: Ist Links-Grün ernsthaft daran interessiert, dass die Energiewende gelingt?

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