Die neue Freiwilligkeit hat Folgen
Der Zusammenbruch der Milizarbeit

Viele Gemeinden suchen verzweifelt Freiwillige, um ihre politischen Ämter zu besetzen – oft ohne Erfolg.
Publiziert: 15.06.2019 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:07 Uhr
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Danny Schlumpf, Redaktor Magazin.
Foto: Thomas Meier
Danny Schlumpf

Es ist der Mega-Event des Jahres: das Eidgenössische Turnfest in Aarau. Ein Spektakel des Breitensports. Und ein Spektakel der Freiwilligenarbeit: 4000 Helfer sind im Einsatz. Ohne sie wäre diese Grossveranstaltung unmöglich durchzuführen.

Freiwilligenarbeit zeigt das Beste im Menschen: Einsatzbereitschaft, Selbstlosigkeit, Solidarität. Und sie zeigt das Beste der Schweiz: In Vereinen und karitativen Organisationen, an Veranstaltungen und im Internet – es ist das uneigennützige Engagement Hunderttausender Menschen, das unsere Gesellschaft trägt.

Aber die Zeiten ändern sich. Und wir uns mit ihnen. Wir sind individualistischer geworden, anspruchsvoller und mobiler. Die klassische Freiwilligkeit schwindet, neue Formen der Beteiligung tauchen auf. Kurzfristige, projektartige Einsätze boomen. Von dieser Event-Freiwilligkeit profitieren Veranstaltungen wie das Eidgenössische Turnfest in Aarau und das Eidgenössische Schwingfest, das im ­August in Zug stattfindet.

Sich langfristig binden aber wollen immer weniger Menschen. Und das hat drastische Konsequenzen im Lokalen, die wir erst richtig spüren werden, wenn es zu spät ist. Immer mehr Gemeinden suchen verzweifelt Freiwillige, um ihre politischen Ämter zu besetzen. Und immer öfter tun sie das erfolglos. Dann lassen sie sich von einem kantonalen Zwangsverwalter leiten oder zwingen ihre Einwohner zur Ämterübernahme. Das urnerische Hospental ist das jüngste Beispiel. Weitere werden folgen. Das Schweizer Miliz­system steht vor dem Zusammenbruch.

Der Verein Service Citoyen hat der ­Öffentlichkeit diese Woche einen Vorschlag präsentiert, der das verhindern soll: Bürgerdienst für alle. Frauen und Männer sollen sich gleichermassen am Milizsystem beteiligen, wahlweise in der Armee oder in zivilen Bereichen wie dem Zivilschutz, der Feuerwehr oder der Lokalpolitik. Es ist allerdings fraglich, ob sich der Milizgedanke mit Zwang retten lässt. Die Folgen eines so gestalteten Bürgerdienstes sind jedenfalls absehbar: Im besten Fall leisten die Bürger Dienst nach Vorschrift.

Was bleibt dann noch? Die Komplexität unserer modernen Welt und ihr Tempo machen vor den Toren der Gemeinden ebenso wenig halt wie der Zeitgeist, der Freiwilligkeit gerade neu definiert. Was für das Parlament in Bern schon längst Tatsache ist, sollte deshalb auch auf lokaler Ebene ins Auge gefasst werden: die Professionalisierung. Teilzeitstellen mit ordentlichen Salären, die mit den Löhnen in der Privatwirtschaft mithalten können. Dafür wird man viel Geld in die Hand nehmen müssen. Dann wird man den Wert der Milizarbeit in den Geschichtsbüchern besingen. Und in den Steuerrechnungen auf den Rappen genau beziffern.

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