Vor einem Jahr und elf Monaten, am 17. März 2020, stand auf der Blick-Titelseite 1 Wort: Notstand! Dazu: Bundesrat macht die Schweiz dicht.
Heute ist es auch nur 1 Wort: Freudentag! Die Schweiz macht auf. So viel schöner. Die Corona-Massnahmen sind, bis auf wenige Ausnahmen, seit Mitternacht weg. Die Pandemie ist so weit entschärft und zurückgedrängt, dass es keine staatlichen Vorschriften mehr braucht zum Schutz der Bevölkerung – nur noch Rücksichtnahme und Selbstverantwortung von uns allen.
Einige nennen es «Freedom Day», aber das ist Propaganda. Denn wir lebten nicht in Unfreiheit. Wir mussten uns als freie Gesellschaft Einschränkungen auferlegen, um eine enorme Krise zu bestehen. Bei allen Unwägbarkeiten dürfen wir heute sagen: Wir haben es geschafft.
Die Krise als Chance … worauf eigentlich?
Jetzt wird der Alltag endlich wieder normal. Das alte Leben kehrt zurück. Es wird wie früher.
Wie früher?
Natürlich hat sich durch den permanenten Ausnahmezustand manches verändert, haben wir uns verändert. Aber man sollte das Ausmass nicht überschätzen. Mit ein bisschen Distanz werden wir ziemlich sicher feststellen: Vieles ist beim Alten geblieben, wir sind die Alten geblieben. Und das ist gut so.
Zukunftsforscher sagten schon kurz nach Pandemieausbruch allerlei tiefstgreifende Umbrüche voraus, sie sahen den Anbruch eines neuen Zeitalters, wenn nicht gleich die Neuerfindung des menschlichen Daseins. Corona ermöglichte jeder Weltsicht ihre eigene Interpretation: die Krise als Chance … auf Abkehr vom Globalisierungswahn, auf Rückkehr der Lokalidylle, auf Einkehr der egoistischen Menschheit, auf Umkehr jedwelcher Art von Fehlentwicklung.
Alles besser, bloss nichts wie früher. Als ob früher alles so schlecht gewesen wäre.
Nicht normal, diese Normalität
Das war es nicht. Sonst hätten wir uns in den vergangenen fast zwei Jahren nicht nach dem Tag gesehnt, der heute gekommen ist: Leben wie früher, Alltag wie früher! Mit dem Unterschied, dass er uns alles andere als alltäglich vorkommen wird.
Keinen Bedarf gibt es an Leuten, die uns vorschreiben wollen, was wir jetzt zu tun haben. Das hatten wir, notgedrungen, zur Genüge. Nun gibt es wieder mehr Raum für Individualität und Selbstbestimmtheit, für das Nachholen von Wünschen und das Ausleben von Träumen, die bei jedem und jeder ein bisschen anders aussehen.
Und die Rückkehr zur Normalität bedeutet keineswegs, dass irgendetwas normal wird. Wir erinnern uns: Die Welt von früher ist wie die Welt von heute – aufregend, widersprüchlich, seltsam. Aber es war und ist die beste, die wir haben. Freuen wir uns drauf.