Es gibt Menschen, die finden es sogar gut. Gut, dass es jetzt anders ist. Die sehen die Leere draussen als Wohltat. Diese Stille in den Gassen, diese Ruhe auf den Strassen, das Nichts auf Plätzen und Promenaden – friedlich, befreiend, erlösend. Die finden es richtig, in moralischem Sinn, dass die Welt sich nicht mehr um uns dreht.
Doch was ist menschlich daran, die Abwesenheit des Menschen zu begrüssen?
Luege, lose, gschpüre
Die Harmloseren, die das tun, laben sich in denkmüder Schwärmerei an ihrer Gefühligkeit. Schau nur, das Hamsterrad steht still. Der stressige Alltag, diese nimmersatte Bestie, verlangt nicht mehr nach immer mehr. Luege, lose – aber nicht laufe. Stattdessen: Gschpüre, in sich schauen, in sich horchen. Back to irgendwelchen roots, irgendwie. Corona lässt den Sinn des Lebens in ihnen emporkraxeln, er schiebt die Oberflächlichkeit zur Seite und offenbart sich, warum auch nicht, im ersten selbst gebackenen Brot.
Virus der Wahrheit!
Die Ideologen: Sie sehen die Globalisierung entlarvt, den Kapitalismus erledigt, vor allem sich selbst bestätigt. Das Virus der Wahrheit! Es jätet die Auswüchse der Zivilisation, bestraft Ausbeutung, Übermass und Grenzenlosigkeit aller Art. Es bringt uns zur Vernunft. Und diese angebliche Vernunft sagt: Stillstand ist der wahre Fortschritt, endlich erlebt das jeder. Ohne Fortschritt gibts zwar nie einen Impfstoff, aber ein paar werden überleben, Qualität statt Quantität halt, und die wenigen werden das kaputte Heute in ein besseres Morgen überführen.
Da tanzt der Koala
Die Kältesten unter ihnen feiern die Seuche als gerechte Rache und Triumph der Natur. Sie schlägt in einem Akt von Notwehr zurück und weist dem Menschen den Platz an, der ihm zusteht: keinen. Hau ab von unserem Planeten, du hast dich seiner nicht als würdig erwiesen. Sie halten das unnatürlich Unlebendige – auch Lockdown genannt – für ein Vorstadium des verdienten Endes. Und ist die Menschheit endlich weg, lädt der Koala zur grossen Flora-Fauna-Party. Ein Happening natürlich ohne Selfies.
Nichts ist gut
Nein, nichts ist gut. Schon nur wegen der Zehntausende Toten kann nichts gut sein. Wegen des Leidens nicht und des Leids nicht. Wer einem Virus, das Menschen hinrafft, auch nur das kleinste Positive abgewinnt, verachtet alles, was wir sind.
Diese Zeit ist einschneidend. Vielleicht nehmen wir etwas mit, bestimmt sogar, denn wir verändern uns unablässig, und Prägendes hinterlässt in uns Spuren. Der Mensch lernt. Aber das Virus lehrt uns nichts. Es ist kein Zeichen und keine Botschaft. Es ist bloss ein gefährliches Virus, das wir hoffentlich bald eingedämmt und im Griff haben.
Verlassene Welten
Dass nichts gut ist, sieht man den Fotos in der Bildstrecke oben an. Fotograf Stefan Bohrer nennt die Serie «Verlassene Welten». Er hat in den letzten Wochen Orte besucht, die zuvor belebt waren. In ihrem jetzigen Zustand sind sie sinnentleert. Die Räume scheinen ein Eigenleben zu führen. Aber das tun sie nicht. Sie sind nichts ohne uns. Sie leben von der Erinnerung daran, was Menschen in ihnen getan haben, und strahlen die Erwartung an das aus, was Menschen in ihnen wieder tun werden. Viel Lächerliches gewiss, denn auch das gehört zu uns.
Die «Verlassenen Welten» sind zumeist banale Orte oder gar frivole, mit Absicht keine erhabenen. Sie sind nah am Leben, das wir lieben, am Alltag, den wir vermissen. Sie warten auf Lautes, Buntes, liebenswert Lebendiges. Sie warten auf uns.
Es war nicht alles schlecht vorher, es wird nicht alles gut danach. Aber gut, dass es wieder wird.