Mein Jüngster singt und spricht viel. Glockenhell schön. Doch seit kurzem macht mir seine Stimme auch Angst. Besser gesagt, das, was aus seiner Stimme gelesen werden kann.
Wir wissen es ja längst: Die Stimme kann Gefühle nicht gut verstecken. Die Stimme lügt nicht. Und wir wissen auch, dass findige Forscher Probanden seit Jahren stimmlich testen. Bekannt ist auch, dass Tech-Megakonzerne über Sprach-Assistenten wie Alexa Millionen von Stimmen abhören und Stimmprofile anlegen. In den letzten Jahren wurden viele Stimmanalyse-Prototypen gebaut. Und die Studien und Tests zeigen: Sie filtern mittlerweile Krankheiten und Gefühle aus den Stimmen, oft treffsicherer als Ärzte oder Therapeuten.
Von vokalen Biomarkern sprechen Forscher, die Stimmen nach Krankheiten scannen. Mittlerweile erkennen sie anhand der Stimme Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit, Alzheimer und vieles mehr. Die Stimme ist ein klangvoller, unverwechselbarer Pin. Und sie verrät uns an Firmen, die das kommerziell zu nutzen wissen.
Neben den Tech-Giganten sind da zahlreiche medizinische Start-ups oder jene aus militärisch abhörtechnisch erprobten Ländern wie die israelische Beyond Verbal, Voicesense und deutsche Firmen wie Precire, Audeering. Dazu kommen Stimm-Tagebuch-Apps wie Maslo, denen Menschen ihr Innerstes anvertrauen. Das sind unbezahlbare Datenschätze, die leider gegen Menschen verwendet werden können.
Beispielsweise gegen Bewerber. Immer mehr Firmen verlangen Stimmproben. Ist jemand übermüdet, alkoholisiert oder verschlossen? Die Maschine weiss es sofort. Sie liefert den Konzernen den vermeintlich gläsernen Kandidaten, entschlüsselt in Bits und Bytes.
Die Stimmen der Chefinnen sind online aufgeschaltet, öffentlich. Es geht längst nicht mehr darum, was Konzernführer sagen, sondern wie sie es sagen. Sind sie zaudernd, zögerlich oder zuversichtlich? Schlimmer noch krank oder süchtig? Die Stimme wird zum Lügendetektor. Programme lauschen mit und sehen, wie es in Körper und Seele der CEOs aussieht, Trader verdienen damit Geld. Letzte Woche hat einer der grössten globalen Investoren an einer Konferenz durchblicken lassen, dass er schon solche Software nutzt.
Genau so wie Amazon mit seinem Kinder-Lautsprecher den Kleinsten zuhört und sie stimmtechnisch vermisst. Ich höre mein Kind singen und könnte schreien. Es ist ernst, und es geht zu weit. Besonders die Kleinsten müssen vor Datensammlern geschützt werden. Gut, dass gegen Amazon deswegen nun Klagen eingereicht wurden. #aufbruch
* Patrizia Laeri (42) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.