Eigentlich ist dieser Meinungsartikel überflüssig. Doch die Nebensache, von der er handelt, wird fortan im Vordergrund stehen: Curdin Orlik (27) ist seit Freitagnachmittag, 16 Uhr, nicht mehr bloss Spitzenschwinger, Eidgenosse, Kranzfestsieger. Er ist jetzt Curdin Orlik, der schwule Schwinger.
Na und? Ist doch normal. Wozu dieses Bohei?
Klar ist es normal, schwul zu sein. Der Punkt ist nur: Nicht alle haben es gemerkt. Orlik selbst sagt das so: «In der Welt, aus der ich komme, wird Schwulsein eben nicht als das Normalste der Welt betrachtet.»
Dass der Handschlag in der Welt, aus der er kommt, noch etwas gilt, ist keine romantische Verklärung. Man teilt Wurst und Weisswein, im Rucksack mitgebracht, mit dem Nachbarn. Es geht ohne Sicherheitscheck, obwohl jeder bei der Schwinget mindestens das Sackmesser dabeihat. Ein bisschen knorrig, ein bisschen gute alte Zeit, ein bisschen Swissness: So sehen sich die Schwinger – und manchmal stimmt es auch.
Da gibts am Schwingfest zum Mittagessen noch Fleischvogel mit Kartoffelstock und ein paar Rüeblischeiben. Da läuft den ganzen Tag Schweizer Volksmusik über die Lautsprecher, nur unterbrochen vom Live-Auftritt eines Alphorntrios oder Jodlerchörlis. Aber es zuckt auch niemand zusammen, wenn auf der Tribüne einer einen üblen Homo-Witz reisst. Dass Männer Hand in Hand gehen, sich küssen, sich lieben, dass sie sogar Sex miteinander haben, ist nicht vorgesehen. In der Stadt vielleicht. Aber doch nicht hier.
Generell wirds schwierig, wenn jemand heraussticht. Der Eidgenosse Remo Käser zum Beispiel wird angefeindet, weil er in einer SRF-Tanzsendung aufgetreten ist und daneben für eine schöne Stange Geld Werbung für Automarken, Lebensmitteldiscounter oder einen Energydrink macht, zudem einen fidelen Eindruck. Dabei tut er nur konsequenter, was die Stuckis, Wengers, Sempachs, Abderhaldens vor ihm angefangen haben: ein bisschen Geld verdienen und seinen Sport auf professionellem Level betreiben.
Wenn schon Käser aufs Dach bekommt, wie wird es dann Orlik ergehen? Hoffnung machen ausgerechnet die Ausländer. Auch die werden in der Welt, aus der Orlik kommt, argwöhnisch betrachtet.
In den Schwingklubs gibt es sie: nicht viele zwar, aber die, die da sind, werden akzeptiert.
Es ist leicht abzulehnen, was man nicht kennt. Wenn da aber plötzlich ein Mensch mit Gefühlen, Hoffnungen, Wünschen und Ängsten steht, wird es kompliziert. Curdin Orlik ist ein Mensch mit Gefühlen, Hoffnungen, Wünschen und Ängsten. Nur die Schwinger können deshalb dafür sorgen, dass dieser Meinungsartikel, der sich um ihn dreht, überflüssig ist.