Kommentar von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Out of Control

Das britische Parlament hat Johnsons Plan für einen geregelten Brexit versenkt. Man traut dem grossen Fabulierer nicht über den Weg. Zu Recht.
Publiziert: 19.10.2019 um 18:20 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2019 um 14:25 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick
Foto: Paul Seewer
Gieri Cavelty

«Take back control», lautete der Slogan der Brexit-Befürworter im Abstimmungskampf 2016. Was man damit aber wirklich meinte, war: Make Britain great again!

Boris Johnson ist nicht nur britischer Premier. Er ist auch Verfasser einer Biografie über Winston Churchill, jenen legendären Staatsmann, der die Welt – so legt es einem zumindest Boris Johnson nahe – praktisch im Alleingang vor den Nationalsozialisten gerettet hatte. Das 2015 publizierte Buch atmet in jeder Zeile Johnsons Wunsch, diese Bedeutung für das Land zurückzugewinnen.

Für die Europäische Union hat der Autor im Gegenzug nur herablassende Worte übrig. An einer Stelle ist sich Johnson nicht zu schade, das von den Nazis besetzte Europa als eine Art Vorgängerprojekt der EU zu verunglimpfen. Man kann die immer wieder bemühte Rhetorik von der EU als grösstem Friedensprojekt der Weltgeschichte für überzogen halten – Johnsons Nazi-Unterstellung ist einfach nur dumm und bösartig.

Um es auf den Punkt zu bringen: Premier Johnson will auf Teufel komm raus als ein zweiter Churchill in die Geschichtsbücher eingehen. Das ist der Spleen eines Exzentrikers, wie sie in Englands Eliteschulen herangezüchtet werden. Wie weit entfernt derlei Fantastereien von der Lebenswelt der allermeisten Britinnen und Briten sind, braucht man gar nicht erst zu betonen.

Nun hat das britische Parlament Johnsons Plan für einen geregelten Brexit versenkt. Man traut dem grossen Fabulierer nicht über den Weg. Und selbst wenn der Austritt Grossbritanniens aus der EU endlich einmal vollzogen sein wird: Das britische Weltreich wird deswegen trotzdem nicht wiederauferstehen. Das Rad der Zeit lässt sich mit noch so viel rhetorischen Tricks und noch so viel Vorstellungsvermögen – gottlob! – nicht zurückdrehen. Real Great Britain wird immer nur ein Sehnsuchtsort für Johnson und Konsorten bleiben.

Für solche Betrachtungen ist es nach der gestrigen Parlamentsdebatte allerdings ohnehin zu früh. In London regiert für den Augenblick das Chaos.

Der Brexit ist und bleibt out of control.

Brexit-News

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

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