Was waren das für Zeiten, als wir noch an den Osterhasen glaubten! Hoffnungsfroh gingen wir in den Garten, suchten hinter Hecken und unter Büschen nach Nestern mit Süssigkeiten. Doch heute, da uns der Glaube abhanden gekommen ist, vergällt uns das Wissen um Kariesbildung und Kalorienreichtum der Schokolade die Freude.
Naive Zuversicht und wissende Skepsis: Diese Diskrepanz prägt auch die beiden Kontrahenten im Streitgespräch um die Frage «Ist die freiheitliche Weltordnung am Ende?». Auf der einen Seite CNN-Moderator und «Washington Post»-Kolumnist Fareed Zakaria (56), der mit Nein antwortet, auf der anderen Harvard-Geschichtsprofessor Niall Ferguson (55), der ein vehementes Ja einlegt.
Zwar fand dieses Gespräch, dessen Protokoll kürzlich auf Deutsch in Buchform erschienen ist, schon 2017 in Toronto statt. Doch die Frage, wie es mit der Globalisierung weitergeht, stellt sich im Zeichen der Corona-Krise umso dringlicher. Insofern ist die Lektüre dieses Rededuells aktueller denn je, zumal die Argumente beider Seiten seit Jahren dieselben sind: da die optimistischen Osterhasen-Sucher um den indischstämmigen Zakaria, dort die pessimistischen Schoggi-Verweigerer um den Briten Ferguson.
«Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde Europa vier oder fünf Jahrhunderte lang von Kriegen heimgesucht, wie sie kein anderer Kontinent erlebt hat», sagt Zakaria. Allein Frankreich und Deutschland hätten sich im 19. Und 20. Jahrhundert in drei Kriegen bis aufs Blut bekämpft, das sei heute undenkbar. Eins zu null für ihn. Dem hält Ferguson entgegen, die Weltordnung sei nicht freiheitlich, weil der eigentliche Nutzniesser China sei. «Wie kann es sich um eine freiheitliche Ordnung handeln, wenn sie vor allem einem Einparteienstaat dient?» Ein Punkt für Ferguson: eins zu eins.
«Natürlich ist diese Welt nicht perfekt», entgegnet Zakaria. «Es gibt weiterhin Kriege und eklatante Menschenrechtsverletzungen.» Doch überall wünschen sich die jungen Menschen diese freiheitliche Weltordnung. «Aber die jungen Menschen müssen verstehen, dass diese Welt kein Selbstläufer ist und dass sie sich nicht mit einem blossen Like auf Facebook erhalten und ausbauen lässt», so Zakaria weiter. «Man muss etwas für ihren Erhalt tun.» Zwei zu eins.
Es kämen viele Aufgaben auf die freiheitliche Weltordnung zu, und es gebe Politiker, die ihren Untergang feiern – Menschen wie Donald Trump, Marine Le Pen oder Nigel Farage, so Zakaria: «Diese Leute wollen, dass sie scheitert, sie glauben, dass sie einen Hebel gefunden haben: Sie nutzen die Angst der Menschen aus, die vielleicht die Komplexität dieser Kräfte nicht verstehen, und sie geben ihnen einfache Antworten.»
Ferguson verweist in diesem Zusammenhang auf die Finanzkrise von 2008: «Das hat vielen Menschen sehr geschadet, und deswegen hat die Finanzkrise den Aufstieg der Populisten bewirkt.» Und es steht zu befürchten, dass die Corona-Krise diesem Argument noch weiteren Schub verleiht: zwei zu zwei.
Niall Ferguson/Fareed Zakaria, «Ist die freiheitliche Weltordnung am Ende? Ein Streitgespräch», Nagel & Kimche