Es dauert lange, bis die erste Pushmeldung eines europäischen Medienportals kommt, als die Schwedische Akademie Anfang Oktober den Namen des diesjährigen Nobelpreisträgers für Literatur bekannt gibt. Es scheint, als wären die Redaktionen überrumpelt worden, weil ihre bereits eingetippten Favoritennamen inzwischen Makulatur sind. Weil die Kulturressorts zuerst einmal herausfinden müssen, wie man den Namen des aus Tansania stammenden Autors Abdulrazak Gurnah (72) richtig schreibt.
«Was wissen wir schon über Afrika?», lauten die Schlussworte im neuen Buch des deutschen Journalisten Bartholomäus Grill (67). Der Satz könnte als Motto über dieser Posse rund um die Nobelpreisvergabe stehen, denn afrikanische Schriftsteller sind nicht auf dem Radar hiesiger Buchstuben, schliesslich bekamen die höchste Literaturauszeichnung bisher vor allem alte, weisse Männer. Ein solcher ist mittlerweile auch Grill, aber er ist ein ausgewiesener Afrikakenner und berichtet fast sein halbes Leben für die «Zeit» und den «Spiegel» aus dem unbekannten Kontinent.
In Gurnahs Herkunftsland Tansania betritt der studierte Philosoph und Soziologe Grill 1980 erstmals afrikanischen Boden und will in einem Dorf eine Begegnungsstätte für Massai aufbauen. «Hier sollte eine lange Liebesgeschichte beginnen», schreibt er. «Es war ein Wechselbad der Gefühle, ein ständiges Hin- und Herpendeln zwischen Zuversicht und Enttäuschung, Hoffnung und Pessimismus.» Doch in all den Jahren auf diesem Erdteil versucht er weder Romantiker, noch Untergangsprophet zu sein, sondern ein «Afrorealist», wie er sich selber bezeichnet.
Äthiopien, Nigeria, Ruanda, Simbabwe und Südafrika – Grill bereiste und berichtete aus den meisten afrikanischen Staaten. Vielfältig waren dementsprechend die Themen, die er behandelte: Bevölkerungswachstum, Bürgerkriege, Klimawandel oder Migration. Und damit fiel Grill aus dem Rahmen, denn: «Afrika wird oft als ein einziges Land wahrgenommen», schreibt er, «als monolithische Krisenmasse, nicht als vielfältiger Erdteil mit 54 Nationen, die sich höchst unterschiedlich entwickelt haben.»
Ein sprachloses Paradies, in dem Menschen hauptsächlich lachen, trommeln und tanzen: Solche Klischees aus Hollywood-Filmen wie «Jenseits von Afrika» prägen das europäische Bild vom südlichen Kontinent. «Nun ist es keineswegs so, dass ich von Klischees frei wäre, auch nach Jahrzehnten in Afrika nicht», schreibt Grill. Er hatte nie Bedenken in schlecht gewartete Maschinen afrikanischer Fluglinien einzusteigen. «Aber mit zunehmendem Alter warf ich vor dem Abflug prüfende Blicke ins Cockpit», so Grill.
Bartholomäus Grill, «Afrika! Rückblicke in die Zukunft eines Kontinents», Siedler