Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Biologen auf die Palme gebracht

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Dumm nur, wenn es sich bei den Reisenden um stumme Pflanzen handelt. Gut, gibt ihnen der eloquente italienische Biologe Stefano Mancuso eine Stimme.
Publiziert: 22.02.2020 um 14:28 Uhr
|
Aktualisiert: 24.02.2020 um 11:16 Uhr
Daniel Arnet, Redaktor SonntagsBlick Magazin.
Foto: Inge Jurt
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Und plötzlich ist sie da: Die Weinrebe der Nachbarn vom Parterre klettert unseren Balkon hoch, klammert sich mit ellenlangen Sprossranken am Geländer fest und verheddert sich in unseren Topfpflanzen. Sobald ich sie entwirre und zurückbinde, greifen ihre Sprossranken wieder aus, um weiter zu kommen – nach oben, ans Licht, der Sonne entgegen!

Im letzten Sommer durfte ich dieses Schauspiel über Tage und Wochen erleben: eine Pflanze auf Wanderschaft. Denn «Pflanzen sind keineswegs unbeweglich», schreibt Stefano Mancuso (54), italienischer Biologe und Professor für Pflanzenkunde an der Universität Florenz (I), in seinem neuen Buch «Die unglaubliche Reise der Pflanzen».

Ein solcher verwurzelter oder sesshafter Organismus könne zwar nicht den Ort verlassen, an dem er geboren wurde, aber bewegen könne er sich durchaus, so Mancuso weiter: «Und wie sehr sich Pflanzen bewegen, kann man den zahlreichen Zeitrafferaufnahmen entnehmen, die inzwischen überall im Internet zu finden sind.»

Mancuso sorgte mit populärwissenschaftlichen Publikationen wie «Die Intelligenz der Pflanzen» (2015) bereits für Kontroversen in Akademikerkreisen. Der Italiener ist das, was der Deutsche Peter Wohlleben (55) mit Büchern wie «Das geheime Leben der Bäume» ist: ein Bestsellerautor, über den elitäre Fachkollegen die Nase rümpfen, und ein Freund der Natur, der dem Grünzeug mehr zutraut.

Oder wussten Sie, dass Pflanzen auf hoher See navigieren? Die Kokosnuss, der Samen der Kokospalme, ist ein solch mutiger Kapitän. «Ihre Fähigkeit, über vier Monate unbeschadet im Meerwasser zu überstehen und sich mithilfe der Meeresströmungen im gesamten Pazifik zu verbreiten, hat die Geschichte ganzer Kontinente beeinflusst», schreibt Mancuso.

Und wussten Sie, dass Pflanzen Zeitreisen machen können? Durch Ausgrabungen beim Toten Meer kamen in einem Tongefäss versteckte Dattelpalmen-Samen ans Tageslicht. Sie stammen aus der Zeit zwischen 155 vor und 64 nach Christus. 2005 pflanzten israelische Wissenschaftler drei Dattelkerne. «Acht Wochen später trieb einer der drei Samen aus», so Mancuso. «Der bis dahin älteste Samen, der jemals gekeimt hatte, stammte von einer 1300 Jahre alten Lotuspflanze.»

Und natürlich erzählt der Italiener Mancuso genüsslich die Reise der Tomate aus Südamerika in seine Heimat – im Gepäck spanischer Eroberer. Mancuso: «Als die Tomate 1544 nach Italien kam, war die Frucht gelb und wurde als mala aurea beschrieben, was später wörtlich mit pomo d’oro (Goldapfel) übersetzt wurde.» Sie musste erst rot werden, bis sie die Italiener akzeptierten: Das erste Rezept für Pasta al pomodoro taucht erst im 19. Jahrhundert auf.

Stefano Mancuso, «Die unglaubliche Reise der Pflanzen», Klett-Cotta

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?