Wirtschafts-Briefing von Nicola Imfeld: Der Ukraine-Krieg hat nur Verlierer
Warum mir die Russen leid tun

In Russland ist nichts mehr, wie es noch vor einem Monat war. Der Westen hat auf Putins Invasion absolut richtig reagiert, doch die Leidtragende ist aktuell die Zivilbevölkerung. Es ist ein womöglich blutiges Pokerspiel, meint Wirtschaftsredaktor Nicola Imfeld.
Publiziert: 12.03.2022 um 10:33 Uhr
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Nicola Imfeld, Wirtschaftsredaktor der Blick-Gruppe.
Foto: Thomas Meier
Nicola Imfeld

Das aktuelle Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer ist unvorstellbar. Und doch mache ich mir auch Sorgen um meine russischen Bekannten.

Gestern erreichte mich auf Instagram diese Nachricht einer Kollegin, die in Moskau lebt: «Hi! Hast du Telegram? Instagram wird hier abgestellt.» Sie arbeitet als Filmproduzentin und hat diesen Text vermutlich an Dutzende Menschen geschickt, mit denen sie in Kontakt bleiben will.

Schon vor zwei Wochen, kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine, schrieb mir eine andere Kollegin aus St. Petersburg – ebenfalls via Instagram: «Der russische Rubel ist gefallen. Ich würde wirklich gerne gehen. Aber ich kriege kein Visum. Ich bin in einer hoffnungslosen Situation.» Angesprochen auf den Krieg meinte sie: «Ich will, dass der Krieg aufhört! Ich möchte, dass alle Länder Freunde sind.»

Sie ist Flight Attendant. Vor dem Krieg jettete sie um die Welt – und liess ihre Freunde auf Instagram an ihrem aufregenden Leben teilhaben. Nun zeigt sie sich häufig im Büro der russischen Airline. Immerhin durfte sie gestern (gemäss ihrem Instagram-Profil) mal wieder raus. Ein Sicherheitstraining stand an. Die Kollegin saust auf einem Video die Flugzeug-Rutschbahn hinunter.

Wie lässt es sich so noch leben?

In Russland ist nichts mehr, wie es noch vor einem Monat war. Unzählige westliche Firmen haben sich aus dem Land zurückgezogen. Wer gerade mit einem Umzug beschäftigt ist, kann nicht mehr bei Ikea, Jysk oder Obi einkaufen gehen. Schwört man auf den Kaffee von Starbucks und Nespresso oder auf die Burger von McDonald's, hat man Pech gehabt. Ein Auto von VW, Ford oder Ferrari? Keine Chance!

Wenn man sich als verwöhnter Schweizer die Liste der Unternehmen anschaut, die sich alle aus Russland zurückgezogen haben, stellt sich ernsthaft die Frage: Wie lässt es sich so überhaupt noch leben? Der nächste Schlag dürfte wie von meiner Kollegin angekündigt in den nächsten Stunden folgen: Der Facebook-Konzern Meta soll in Russland als «extremistische Organisation» eingestuft und verboten werden.

Bald kein Facebook, kein Instagram und kein Whatsapp mehr. Zudem haben ausländische Medienunternehmen das Land fluchtartig verlassen, nachdem ein neues Mediengesetz eingeführt worden ist. Was den Russen bleibt, ist die Staatspropaganda im TV. Zensur total!

Blutiges Pokerspiel des Westens

Die westlichen Sanktionen sind derzeit vor allem schlimm für die Zivilbevölkerung. Also für diejenigen, die für die Taten Wladimir Putins nichts können. Trotzdem ist das Vorgehen richtig: Einerseits sollen Grossmächte wie China auf den Zuschauerrängen sehen können, wie geeint und stark der Westen immer noch ist. Andererseits kann eine unzufriedene russische Zivilbevölkerung irgendwann zum grössten Problem Putins werden. Die ultimative Hoffnung des Westens: Meine Kolleginnen in Russland machen das nicht mehr lange mit.

Es ist ein womöglich blutiges Pokerspiel. Denn wenn der grosse Aufstand irgendwann kommen sollte, dann wird dieser sicherlich nicht friedlich vonstatten gehen. «Im Krieg gibt es keine Gewinner, sondern alle sind Verlierer, ganz gleich, welche Seite sich zum Sieger erklären mag», sagte Arthur Neville Chamberlain in seiner Zeit als Premierminister Englands (1937-1940) einst. Wie recht er hat.

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