Das ist eine Frage, die Sie, vielleicht in etwas freundlicheren Worten, idealerweise besagten Müttern stellen. Man würde Ihnen dann erklären, dass sich das Abstillen sehr individuell gestalte, vom Kind aus – das in dieser Angelegenheit übrigens auch einiges zu melden hat – kaum je vor dem ersten Geburtstag stattfinde und bis über den dritten hinaus dauern könne. Es ist daher überhaupt nicht ungewöhnlich, wenn eine Frau ihr knapp zweijähriges Kind noch stillt. Allerdings gibt es hierzu, wie zu praktisch allem, eine gesellschaftliche Wahrnehmung, die nach eigenen, oft ziemlich realitätsfernen Gesetzmässigkeiten operiert. In diesem Fall verlangt sie, dass ein Säugling gefälligst auch wie ein Säugling auszusehen habe; also wie ein Baby und nicht wie ein Kleinkind. Ansonsten wittert sie etwas Widernatürliches, und darauf reagiert sie meist ausgesprochen schlecht. Wie auf gleichgeschlechtliche Paare, die heiraten möchten. Oder körperlich Behinderte, die gern Sex hätten. Oder orthodoxe Juden, die eine Frau, die nicht die eigene ist, nicht grüssen. Oder nur schon männliche Krippenbetreuer.
Viele Mütter haben grosse Mühe, ihr Kind loszulassen, denn das bedeutet, dass es sie immer weniger braucht – die Mutter also vermeintlich zu einem unwichtigen Menschen wird, was je nach Selbstbild katastrophale Auswirkungen haben kann. Dieser Prozess beginnt faktisch bereits mit dem Abstillen, und es gibt gewiss manche Mutter, die aus rein egoistischen Gründen versucht, ihn möglichst lange hinauszuzögern. Um ein solches Motiv festzustellen, müsste das gestillte Kind allerdings schon vier oder fünf Jahre alt sein. Die Frauen, die Sie beobachtet haben, erfreuen sich wohl einfach an ihrer Mutterschaft. Und daran sollte erst mal nichts verdächtig sein.