Liebe Leserin, lieber Leser,
keine Sorge – dies ist kein Abschiedsbrief. Ich möchte lediglich die Gelegenheit nutzen, mich einmal für Ihre Treue zu bedanken (wie auch beim Ringier Verlag). Seit nunmehr sechs Jahren darf ich Ihr Kolumnist sein und meine Gedanken zu Liebe, Beziehung, Beruf, Familie und dem Leben mit Ihnen teilen. Das ist für mich viel mehr als ein blosses Einkommen – mittlerweile empfinde ich es als Berufung. Und das liegt vor allem an den vielen berührenden, ermunternden Zuschriften, die ich von Ihnen erhalte.
Darunter ist viel Lob, darunter sind auch viele Fragen, aus denen ich neue Kolumnen machen darf, und manchmal ist darunter auch Kritik. Kürzlich gab es für einmal ziemlich viel davon, als ich jemandem, der seine Organe nicht spenden will, eine egoistische Haltung unterstellt habe. Daraufhin erreichten die Redaktion und mich direkt zahlreiche Nachrichten voller Widerspruch, unter anderem von Ärztinnen und Ärzten. Ich habe diese Nachrichten alle gelesen, die Links, die darin angegeben waren, alle besucht und mir viele Gedanken zu dem Thema gemacht. Und meine Meinung geändert.
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Ich war stets der Ansicht, dass es eine Menschenpflicht sei, anderen nach besten Möglichkeiten zu helfen, und die Organspende fiel für mich ebenso darunter wie der Eintrag ins Blutstammzellenspenderegister. Darüber, wie es für einen zwar hirntoten, aber nicht vollständig leblosen Menschen sein könnte, wenn man ihm Organe entnimmt, habe ich nie nachgedacht. Hirntot war für mich das Gleiche wie tot.
Die vielen Zuschriften und der daraus entstehende Schriftverkehr haben mir aufgezeigt, dass diese Diskussion wesentlich komplexer ist: Niemand kann sagen, welche Art von Bewusstsein ein hirntoter Mensch noch erfährt. Niemand kann sagen, wie es sich für ihn anfühlt, wenn man ihm Organe entnimmt. Niemand kann sagen, was es für seine Seele und deren weiteren Weg bedeutet. Auch das Empfinden der Angehörigen ist einzubeziehen, sowie die Frage, welche Energien an einem Spenderherz haften und welche Folgen das wiederum für einen Empfänger hat.
Von einer Pflicht möchte ich daher keinesfalls mehr sprechen.
Zwischenzeitlich habe ich auf Twitter ein kurzes Video gesehen, in dem die Mutter einer verstorbenen jungen Frau die Hand auf die Brust eines Mannes hält, der deren Herz empfangen hat. Die beiden einander bis dahin völlig Fremden, durch die Transplantation aber für den Rest ihres Lebens tief miteinander verbundenen Menschen wirkten auf mich sehr glücklich. Ich kann mir vorstellen, dass die verstorbene junge Frau als darüberschwebender Geist absolut einverstanden war mit dem, was man da mit ihrem Herzen getan hatte, sie hatte ja vermutlich auch vorgängig ihr Einverständnis dazu erteilt.
Dennoch möchte ich nicht von einer Pflicht sprechen. Ich finde, die Organspende ist eine sehr persönliche Angelegenheit, und deshalb finde ich auch, dass es mir fernzustehen hat, jemanden des Egoismus zu bezichtigen, der darüber verfügt, dass sein Körper nach seinem Tod unberührt bleiben soll.
Ich bitte Sie höflich um Nachsicht für meine unbedachte Wortwahl und hoffe, Sie weiterhin zu meinen treuen Leserinnen und Lesern zählen zu dürfen.
Über Ihre Zuschriften mit Lob, Tadel und neuen Fragen freue ich mich sehr: magazin@sonntagsblick.ch
Herzlich,
Ihr Thomas Meyer
Schriftsteller und Sonntagsblick-Magazin-Kolumnist Thomas Meyer spricht am 10. September 2020 mit Caroline Fux, BLICK-Sex-Kolumnistin und -Podcasterin, auf einer Bühne über Trennungen. An der «Breakup Podcast Night» wird ein Live-Podcast zu einer Trennungsgeschichte produziert, die dann von Thomas Meyer und Caroline Fux analysiert wird. Moderiert wird der Talk von der Journalistin und Podcasterin Charlotte Theile. Um 19 Uhr geht es los im «Kosmos» in Zürich. Eintritt ist Spenden-basiert.
Schriftsteller und Sonntagsblick-Magazin-Kolumnist Thomas Meyer spricht am 10. September 2020 mit Caroline Fux, BLICK-Sex-Kolumnistin und -Podcasterin, auf einer Bühne über Trennungen. An der «Breakup Podcast Night» wird ein Live-Podcast zu einer Trennungsgeschichte produziert, die dann von Thomas Meyer und Caroline Fux analysiert wird. Moderiert wird der Talk von der Journalistin und Podcasterin Charlotte Theile. Um 19 Uhr geht es los im «Kosmos» in Zürich. Eintritt ist Spenden-basiert.