Strafen in Schule – Meyer rät
«Das ist nichts anderes als Psychoterror»

Unser Sohn ist letzten Sommer in die Primarschule gekommen. Jeden Morgen bekommen die Kinder einen Stein, und wenn sie etwas falsch machen, müssen sie diesen abgeben. Mein Sohn hat jeden Tag einen Riesenstress vor Angst, aber die Lehrerin hält an ihrem Strafsystem fest.
Publiziert: 17.09.2022 um 18:18 Uhr
Kinder zu gutem Verhalten zu nötigen, ist selten eine gute Idee.
Foto: imago/photothek
Thomas Meyer

Das ist absolut skandalös – und leider völlig normal. Es gehört zur guten Schweizer Erziehung, in der Schule wie zu Hause, Kinder durch psychischen Druck zu einem gefälligen Verhalten zu nötigen. Einerseits, indem ihnen Nachteile angedroht und tatsächlich zugemutet werden, und andererseits, indem sie explizit für guten Benimm belohnt werden. Das ist nichts anderes als Psychoterror, wie Sie an der Furcht Ihres Sohnes sehen, der damit klar zeigt, wie dumm und herzlos die erwähnte Erziehungsmassnahme ist.

Es ist erstaunlich, wie schlecht wir Kinder verstehen, obwohl wir so viel Zeit mit ihnen verbringen. Kinder können nicht abstrahieren, sie beziehen alles auf ihre Person. Wenn wir einem Kind einen Stein geben und ihm diesen wieder wegnehmen, wenn es etwas tut, was uns nicht passt, kommunizieren wir ihm damit, dass es uns als Mensch missfällt. Das ist Gift für den Selbstwert eines Kindes. Dass die Lehrerin Ihres Sohnes das nicht von selbst erkennt und trotz Ihrer Kritik nicht begreifen will, wirft schwere Zweifel an ihrer Berufswahl auf und noch an einigem mehr.

Sie sollten diese Angelegenheit der Schulleitung melden sowie, falls diese auf dem gleichen primitiven Niveau operiert, der nächsthöheren Instanz. Aber auch das wird vermutlich nichts helfen, weil Strafen nun mal ein fester Bestandteil unserer Erziehungskultur sind. Am besten lassen Sie das rückständige, kinderfeindliche Schweizer Schulsystem also sein, wie es ist, und versuchen, den Selbstwert Ihres Sohnes zu stärken, wo Sie nur können. Dabei geht es vorerst um die Frage, in welchen Momenten auch Sie ihm möglicherweise unbewusst vermitteln, nicht liebenswürdig zu sein. Wir müssen unsere Kinder ständig unserer Liebe, Anerkennung und Unterstützung versichern – gerade dann, wenn sie einen sogenannten Fehler machen.

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