Vielleicht können wir uns der Tatsache, dass gewisse Dinge nicht gesagt werden sollten und das nichts mit Cancel Culture zu tun hat, aus dieser Richtung nähern. Sie erfahren ja buchstäblich am eigenen Leib, wie schmerzhaft es sein kann, wenn andere jedes Witzchen machen, das ihnen gerade in den Sinn kommt.
Interessant dabei ist, dass ein Spruch, der andere blossstellt, nicht nur für diese verletzend ist, sondern auch an sich. Es ist verletzende Energie, und die spürt sogar, wer nur danebensteht. Es ist für alle Kinder unangenehm, wenn eines von ihnen auf dem Pausenplatz gemobbt wird. Aber meist steht niemand parat, um einzuschreiten und einen Anti-Mobbing-Workshop abzuhalten, ausserdem ist man froh, nicht selbst gemobbt zu werden. So lernen wir schon früh, dass es okay ist, wenn andere ausgegrenzt werden. Und dass es okay ist, wenn wir darüber lachen.
Darum müssen Sie sich Sprüche anhören über Ihren Körper: weil ein breiter Konsens darüber herrscht, dass solche Sprüche lustig und harmlos sind. Darum reagieren die Menschen ja auch so überrascht, wenn man versucht, ihnen klarzumachen, dass es tatsächlich genau umgekehrt ist. Sie halten einen dann für humorlos und überempfindlich. Und sagen das auch noch so ins Gesicht.
Die Körper von anderen Menschen sind grundsätzlich nicht zu kommentieren. Es soll nichts darüber gesagt werden, dass Dicke dick sind und Dünne dünn; nichts über die grossen Brüste der einen und die kleinen der anderen Frau; nichts darüber, dass jenes Kind winzig sei für sein Alter und das andere riesig. «Bitte kommentiere meinen Körper nicht, ich kommentiere deinen auch nicht» – das ist, was Sie den Witzbolden künftig entgegenhalten sollten. Vielleicht sind einige davon klug genug, zu verstehen, was gemeint ist. Einzelne werden aber «Cancel Culture!» rufen.