SonntagsBlick-Vize Reza Rafi über Trumps Unbeliebtheit
Das Gespenst des Antiamerikanismus

Die Umfrage lässt auf ein tiefes Misstrauen gegenüber dem US-Präsidenten und seiner reflexgesteuerten Machtpolitik schliessen.
Publiziert: 29.12.2018 um 22:25 Uhr
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Europa mag Amerika nicht, Amerika mag Europa nicht. Einer der vielen Versuche, die transatlantische Entfremdung zu erklären, nennt Washingtons wirtschaftspolitische Sünden als Ursache: «Amerika hat sich in jüngster Zeit schlecht benommen und mit seiner protektionistischen Politik besonders bezüglich der Schutzzölle auf Stahl und der Subventionen für die Landwirtschaft gegen den Geist des Freihandels verstossen.»

Das bemerkenswerte an dieser Analyse: Sie wurde 2002 geschrieben, vor 16 Jahren, verfasst von Walter Laqueur, dem im September verstorbenen US-Historiker mit jüdisch-deutschen Wurzeln. Es war die Zeit nach «Nine Eleven», als die weltweite Solidarität mit den USA einer Ablehnung von George W. Bushs Irak-Politik Platz zu machen begann.

Auch heute ist die Supermacht vielen Schweizern unsympathisch. Laut einer Umfrage ist Donald Trump – wohlgemerkt noch immer der Führer der freien Welt – unbeliebter als Kreml-Chef Wladimir Putin oder Chinas Staatschef Xi Jinping. Von den wichtigsten Politikern der Welt schneidet nur der türkische Präsident Reccep Tayyip Erdogan schlechter ab.

Daraus lässt sich keine helvetische Begeisterung für Autokraten und Diktatoren ablesen, wohl aber tiefes Misstrauen gegenüber dem US-Präsidenten und seiner reflexgesteuerten Machtpolitik. Wird er am WEF in drei
Wochen mehr als nur «America first» bieten?

Stahlzölle, Subventionen, Handelskrieg – Laqueurs Text ist von beklemmender Aktualität. Wieder taucht das Gespenst des Antiamerikanismus auf. Wie schon während des Vietnamkriegs, bei den nachrichtenlosen Vermögen, beim Steuerstreit.

Laqueur schrieb in seinem Essay 2002: «In Westeuropa hat es alle zehn bis fünfzehn Jahre Wellen des Antiamerikanismus gegeben.» Die Geschichte wiederholt sich – frei nach Karl Marx – einmal als Tragödie, einmal als Farce.

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