Der Löwe ist nicht böse, weil er die Gazelle frisst. Anders wir Menschen, wir haben die Möglichkeit, moralische Urteile zu fällen. Aber wohl so alt wie unsere kognitiven Fähigkeiten ist auch die Frage, was gut und böse ist. Das ist bekanntlich Ansichtssache. Und was ist Politik anderes, als die ständige Ausmarchung, was als gut und was als böse gelten soll. Ich zum Beispiel finde es verwerflich, Waffen in Bürgerkriegsländer zu liefern. Der Bundesrat offenkundig nicht. Und bestimmt haben Sie auch Ihre Meinung dazu.
Gut und böse
Aber eigentlich will ich über eine schwarze Spinne schreiben. Angesichts der Symbolik passt es vorzüglich, dass diese Art unter der Bundeshauskuppel lebt. Vor 176 Jahren hat Jeremias Gotthelf die Novelle mit dem gleichlautenden Titel geschrieben, die sich um die Frage nach dem Guten und Bösen dreht.
Das Gelände unter dem Bundeshaus – Südhang und Magerwiese – ist ideal für Atypus piceus, die Pechschwarze Tapezierspinne. Um die Stadt Bern finden sich mehrere Kolonien an sonnigen Standorten. Die Spinne ist aber südlich der Alpen deutlich häufiger. Sie gehört in die Familie der Vogelspinnenartigen, ist also mit den Vogelspinnen verwandt.
Kunstwerk Seidenschlauch
Tatsächlich ist Atypus piceus giftig, für den Menschen aber völlig harmlos. Auch bekommt man die Spinne selten zu Gesicht, weil sie verborgen in Tunneln lebt. Selbst Spinnenkenner haben Mühe, die Behausungen zu finden. Mit ihren Giftklauen gräbt sie bis 30 Zentimeter tiefe Röhren in den Boden. Die bloss ein Zentimeter breiten Gänge tapeziert sie mit Spinnseide aus und häkelt so einen unterirdischen Seidenschlauch. Den Eingang tarnt die Spinne mit Flechten. Wenn etwa ein Käfer über die Röhre läuft, bleibt er hängen und wird gebissen.
Gespür für die Natur
Spannend ist, dass unsere Vorfahren die heilende Wirkung der Spinnenschläuche gekannt haben. Bauern haben die Schläuche gesammelt, um sie auf blutende Wunden zu legen – der Schlauch stoppt die Blutung und hat antiseptische Wirkung.
Das zeigt: Früher hatten die Bauern ein enormes Sensorium für die Natur – die Röhren sind nämlich schwierig zu finden. Ob die heutigen Bauern noch immer über diese Sensibilität verfügen? Ach, entschuldigen Sie … jetzt bin ich schon wieder bei der Politik gelandet.
Simon Jäggi (38) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Wissenschaftlicher Rat: Prof. Christian Kropf.