Professor Hengartner erklärt
Wurm gegen Krebs

Michael Hengartner ist Präsident des ETH-Rats – und damit so etwas wie der Chef-Forscher der Schweiz. In seiner Kolumne erklärt er Wissenswertes aus der Wissenschaft. Diese Woche: Wie Würmer im Kampf gegen Krebs helfen.
Publiziert: 08.02.2020 um 17:19 Uhr
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Aktualisiert: 24.02.2020 um 16:28 Uhr
Michael Hengartner (53) ist Präsident des ETH-Rats und neuer Kolumnist. Zuvor war der Biochemiker Rektor der Universität Zürich.
Michael Hengartner

In meiner ersten Kolumne möchte ich etwas über mich und meine eigene Forschung erzählen. Als ich jung war, untersuchte ich Fadenwürmer. Eine Spielerei? Nein! Wir wollten mit unserer Wurmforschung helfen, den Krebs zu besiegen – und zwar nicht beim Wurm, sondern beim Menschen.

Und wie kann das gehen? Wie sich ein Kind entwickelt oder wie eine Krankheit entsteht, ist nicht einfach zu verstehen. Der Mensch ist ein echt kompliziertes Wesen. Darum haben schon vor Jahrzehnten Forschende nach Modellorganismen gesucht, die zum einen möglichst einfach aufgebaut sind und dennoch uns Menschen irgendwie ähnlich sind. Für gewisse Fragestellungen ist der Fadenwurm, Speziesname Caenorhabditis elegans, geradezu perfekt: wie der Mensch, nur einfacher. So haben wir etwa 30 Billionen Zellen (30'000'000'000’000!), der Fadenwurm nur knapp tausend (genau genommen sind es exakt 959). Von der Geburt bis zum Erwachsenenalter braucht der Mensch 18 Jahre, der Fadenwurm nur drei Tage. Das heisst, wir müssen nicht lange warten, bis wir beim Wurm etwas beobachten können. Und trotzdem ist er uns sehr ähnlich: Auch er hat Hautzellen, Hirnzellen und Muskelzellen.

Zudem hat er eine spannende Eigenschaft: Er kennt den programmierten Zelltod. Das bedeutet, der Fadenwurm kann einer Zelle den Auftrag geben, Selbstmord zu begehen. Auch bei uns Menschen passiert das, und zwar täglich. Wenn gewisse von unseren Zellen überflüssig werden, oder gar gefährlich für den Körper, werden sie eliminiert. So zum Beispiel Zellen, die auf dem Weg zum Krebs sind. Doch leider schlägt das Selbstmordprogramm manchmal fehl. Die Zelle erkennt nicht mehr, dass sie abnormal ist, teilt sich weiter, der Krebs wächst ungebremst.

Wie weiss eine Zelle, dass sie sterben sollte? Wie genau funktioniert dieser Zell-Selbstmord? Warum geht es manchmal schief? Könnte man ein defektes Programm sogar vielleicht reparieren – und die Krebszellen wieder davon überzeugen, Selbstmord zu begehen? Seit Jahrzehnten forscht man an diesen Fragen, wir wissen heute viel mehr als damals.

Mein Doktorvater Robert Horvitz hat für die Erkenntnisse, die wir in seiner Forschungsgruppe machten, 2002 den Nobelpreis in Medizin erhalten. Ein Medizin-Nobelpreis für Forschung an einem Fadenwurm? Ja, denn was wir beim Wurm fanden, traf auch beim Menschen zu und half uns, die Entstehung von Krebs besser zu verstehen. Der Wurm ist zwar kein Mensch, aber wir sind durch gemeinsame Vorfahren-Spezies verwandt. Wie Nietzsche einst sagte: «Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und vieles ist in euch noch Wurm.» Nietzsche meinte es im übertragenen Sinne, aber biologisch stimmt es eben auch – vielleicht ist es da sogar noch zutreffender.

So ist es häufig in der Grundlagenforschung: Forschende tragen Wissen zusammen, das uns Schritt für Schritt hilft, etwas zu verstehen oder sogar Krankheiten zu heilen. Plötzlich gibt es einen Durchbruch. Planbar ist es nicht. Leider haben wir es noch nicht geschafft, den Krebs zu besiegen, aber wir sind immer näher dran.

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