Lohnausweis, Berufsauslagen, Bankkontoauszug: Wie ich sitzen in diesen Tagen wohl viele Schweizerinnen und Schweizer schwitzend vor der Steuererklärung, die bis Ende Monat eingereicht sein sollte. «Verdammt, da brauche ich auch noch einen Nachweis.» Kein Grund, die Nerven zu verlieren, denn Steuern zu zahlen, macht durchaus Sinn, um gesellschaftliche Ungleichheiten zu verkleinern, wie gleich mehrere namhafte Wirtschaftswissenschaftler in ihren neuen Büchern belegen.
Der französische Ökonomie-Professor Thomas Piketty (48) sorgte bereits 2013 mit seinem Wälzer «Das Kapital im 21. Jahrhundert» für grosses Aufsehen und hitzige Diskussionen. Nun kommts noch dicker: Im neuen Buch weist er auf über 1300 Seiten minutiös den Zusammenhang zwischen «Kapital und Ideologie» nach und will damit ein Manko des ersten Bestsellers ausmerzen: Darin beschrieb er die politisch-ideologische Entwicklung als Black Box.
Jetzt bringt Piketty Licht ins Dunkel und schreibt: «Alle menschlichen Gesellschaften sind darauf angewiesen, ihre Ungleichheiten zu rechtfertigen.» Ob die europäische Ständegesellschaft oder die Sklavenhaltergesellschaft – jede Form des Zusammenlebens ist ideologisch untermauert. Die moderne Gesellschaft behauptet, jeder habe die gleichen Chancen auf Marktzugang und Eigentumserwerb. Doch diese Doktrin aus dem 19. Jahrhundert sei heute immer weniger tragfähig, so Piketty.
Er belegt faktenreich, wie nach dem Zweiten Weltkrieg der Kampf für Gleichheit und Bildung Wirtschaftsentwicklung und menschlichen Fortschritt möglich machten. Doch die «konservative Revolution der 1980er-Jahre» habe zu einer grossen Ungleichheit geführt. Um zu vermeiden, dass es erneut zu einer masslosen Eigentumskonzentration komme, spiele die progressive Besteuerung von Erbschaft und Einkommen auch in Zukunft eine wichtige Rolle.
«Sollten Milliardäre 23 Prozent ihrer Einkünfte als Steuern abführen, wie es in den USA der Gegenwart der Fall ist, oder eher an die 50 Prozent, wie um das Jahr 1970 herum?», fragen die beiden Berkeley-Professoren Emmanuel Saez (47) und Gabriel Zucman (33) in ihrem neuen Buch. «Sollten Unternehmensgewinne wie im Jahr 1960 mit 52 Prozent oder wie seit der Steuerreform von 2018 mit 21 Prozent besteuert werden?»
Dass sich jüngst Facebook-Chef Mark Zuckerberg (35) ausgerechnet an der Münchner Sicherheitskonferenz dafür aussprach, mehr Steuern zu zahlen, zeigt, welches gesellschaftliches Sprengpotenzial in dieser Ungleichheit steckt. Doch Saez und Zucman mahnen: «Bevor wir die Reichen effektiv höher besteuern können, muss die Steuervermeidung eingedämmt werden. Wir müssen Institutionen schaffen, die ein robustes Steuersystem langfristig tragbar machen, auch in einem Zeitalter extremer Ungleichheit.»
Thomas Piketty, «Kapital und Ideologie», C. H. Beck
Emmanuel Saez/Gabriel Zucman, «Der Triumph der Ungerechtigkeit – Steuern und Ungleichheit im 21. Jahrhundert», Suhrkamp