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Neue Sachbücher
Roger de Weck über die Kraft der Demokratie

Wir haben es selber in der Hand, die Demokratie vor reaktionären Tendenzen zu schützen. Dabei müssen wir alle aufbieten und dürfen niemanden ausschliessen.
Publiziert: 31.03.2020 um 09:54 Uhr
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Aktualisiert: 31.03.2020 um 17:50 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Mein Favorit ist «Krass». Ich sitze im Frühjahr 1995 mit drei weiteren Jungjournalisten in einem Besprechungszimmer des Zürcher «Tages-Anzeigers». Wir brüten über einem Namen unserer neu zu gründenden wöchentlichen Zeitungsbeilage für die Jugend. Viele Vorschläge machen die Runde, da sagt der ebenfalls anwesende Roger de Weck, damals Chefredaktor des «Tagi», ganz unvermittelt: «Ernst!»

Den verspielten «Ernst» gab es bis 2000. 2020 ist die Lage ernst. So sieht es jedenfalls der mittlerweile pensionierte de Weck (66) in Bezug auf die Demokratie. Eben hat er ein gewichtiges Buch veröffentlicht, in dem er vor der Gefahr autoritärer Reaktionäre warnt und gleichzeitig die Kraft der Demokratie beschwört. Denn wie heisst es so schön auf dem Buchumschlag: «Wir sind die, auf die wir warten.» Das Heil kommt nicht von anderen, wir müssen die Demokratie selber retten.

«Die Kraft der Demokratie» ist ein gescheites Buch mit klugen Analysen und hellsichtigen Anweisungen. So zeigt der Schweizer Publizist in einem Kapitel auf, wie die Schweiz mit der Dynastie Blocher zur «Avantgarde des Populismus» avanciert und mit James Schwarzenbach (1911–1994) den «Prototypen heutiger Rechtspopulisten» auf den Plan bringt. Und er legt erstaunliche Parallelen offen von Schwarzenbachs Nationaler Aktion (NA) und der heutigen Alternative für Deutschland (AfD).

«Warum eigentlich will sich die liberale Demokratie nicht zukunftstauglich machen?», fragt sich de Weck. «Weshalb debattieren Demokraten nur sehr sporadisch über neue Institutionen auf der Höhe des digitalen Zeitalters?» Und er macht auch gleich einen Vorschlag: «Warum nicht, je nach Staat, eine zweite oder dritte Kammer: eine Umweltkammer?» Da – und in einigen anderen Punkten im Buch – muss sich de Weck den Vorwurf gefallen lassen, er reite allzu gefällig auf der grünen Welle.

Nur einmal habe ich mich über das Buch geärgert – dort, wo de Weck guten Journalismus für gute Demokratie fordert. Dieses Begehren ist an sich nicht anrüchig, aber der ehemalige «Zeit»-Chefredaktor setzt in diesem Kapitel Populismus und Boulevard-Journalismus gleich und diskreditiert mit dieser Gegenüberstellung Letzteren. Und er zitiert für seine Argumentation ausgerechnet den Schriftsteller Lukas Bärfuss (48), der regelmässig für das SonntagsBlick Magazin schreibt.

Wenn de Weck moniert, sowohl Populismus als auch Boulevard-Journalismus würden Emotionen bewirtschaften, dann müssen demokratiefreundliche Politiker dieses Mittel eben kopieren und für ihre Zwecke gebrauchen. Denn mit Gefühlen erreicht man die Massen. Und letztlich geht es in Demokratien immer darum, Mehrheiten zu gewinnen. «Wir sind die, auf die wir warten.» Wir alle.

Elitär gegen Reaktionäre anzuschreiben, bringt in diesem Zusammenhang wenig. Denn Demokratie macht man nicht aus dem Elfenbeinturm, sondern auf dem Boulevard. Und das habe ich damals als frisch promovierter Germanist nicht zuletzt bei deinem «Ernst» gelernt, lieber Roger.

Roger de Weck, «Die Kraft der Demokratie – eine Antwort auf die autoritären Reaktionäre», Suhrkamp

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