Milena Moser
Das Glück sieht immer anders aus

Unsere Hochzeit vor eineinhalb Jahren war wohl die unromantischste Veranstaltung, die man sich vorstellen kann. Und die halbbatzige Feier, die wir letzte Woche nachholten, entsprach unseren ursprünglichen Vorstellungen auch herzlich wenig. Doch dem Glück ist das egal.
Publiziert: 13.09.2021 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2021 um 12:24 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Das schöne Leben der Toten».
Foto: zvg
Milena Moser

Auf unseren Quartierladen ist eigentlich Verlass. Doch ausgerechnet heute sind die Zitronen ausgegangen. Es ist nicht das Einzige, was nicht läuft wie geplant.

«Und, was hast du heute Schönes vor?» Fontini, die Tochter der Ladenbesitzer, schaut sehnsüchtig auf die Strasse hinaus, die im grellen Nachmittagslicht flimmert. Noch vor zwei Wochen sass sie in Daunenjacke und Fingerhandschuhen an der Kasse, und ich brachte ihr einen kleinen Heizlüfter vorbei. Der Sommer beginnt hier erst im Herbst. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob sie die Entscheidung ihrer Eltern, den Quartierladen wieder aufleben zu lassen, heimlich bereut. Für sie, die erwachsene Tochter, hiess das, ihren Job als Coiffeuse aufzugeben und stattdessen sieben Tage die Woche im Laden zu stehen. Auch heute, an einem dieser amerikanischen Feiertage, deren Bedeutung ich ständig vergesse und die immer an einem Montag stattfinden.

«Ich?», sage ich. «Ich feiere meine Hochzeit nach.»

«Ach, wirklich?» Fontini runzelt die Stirn. Unwillkürlich gleitet ihr Blick über mein wirres Haar, mein ungeschminktes Gesicht, die alte Latzhose, die ich trage.

«Keine Angst, ich zieh mich schon noch um!»

Wenn die Zeit reicht. Wenn nicht, ist es auch egal.

Unterdessen weiss ich schon gar nicht mehr, wie oft wir die Feier bereits geplant und wieder abgesagt haben. Ich könnte es nachschauen, weil ich jedes Mal voller Optimismus Einladungskarten drucken lasse, die sich jetzt im Putzschrank stapeln (wo sonst?). Wir haben unsere Pläne geändert und angepasst und wieder verworfen. Wie so viele andere auch. Wie Fontinis Schwester Artemi, die ihre filmreife Märchenhochzeit über Monate geplant hatte, nur um sie wieder abzusagen. «My Big Fat Greek Wedding im Quadrat», grinst ihre Schwester. Artemi macht keine Kompromisse. Sie besteht darauf, zu warten, bis sie ihren Mädchentraum verwirklichen kann. Ich verstehe das: Sie ist jung. Wir hingegen, wir feiern die Feste, wie sie fallen. Wer weiss, wie viele wir noch haben.

Ohne Zitronen gehe ich über die Strasse zu Lisa. Auch ihr Mädchentraum ist der Pandemie zum Opfer gefallen: Sie hat ihre kleine Bäckerei im letzten Frühjahr eröffnet und nach nur zwei Wochen wieder schliessen müssen. Jetzt arbeitet sie wieder in ihrem angestammten, ungeliebten Beruf als Buchhalterin, doch sie nimmt immer noch Sonderaufträge entgegen. Torten und Cupcakes für besondere Anlässe, die ja nicht mehr gerade häufig stattfinden. Sie hat einen Kredit aufgenommen, um die Miete für das geschlossene Ladenlokal weiterhin bezahlen zu können. Lisa gibt nicht auf.

Ich habe ihr auf gut Glück ein paar Bilder von Victors Installationen geschickt, und sie hat eine wunderschöne Torte gebacken, ein Kunstwerk für sich. Sie hilft mir, sie um die Ecke nach Hause zu tragen. Und nein, wir stolpern nicht, wir fallen nicht hin, die Torte bleibt ganz. Und ich habe sogar noch Zeit, mich umzuziehen. Und auch wenn dann nur die Hälfte der Gäste kommen kann: Dieses reduzierte, improvisierte Fest ist eines der unkompliziertesten und schönsten. Gerade, weil wir uns nicht mehr an unsere Vorstellungen klammern. Weil wir wissen, dass wir nur den Moment haben. Aber den teilen wir.

Die Zitronen vermisst auch niemand.


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