Das erste Mal habe ich meine Achseln und Beine rasiert, als ich in England war zu einem Schüler-Austausch. In meiner Kindheit und Jugend hatte dieses Beauty-Ritual keine Rolle gespielt, als die Töchter meiner Gastfamilie mir nach einem Nachmittag auf dem Tennisplatz freundlich ihren Rasierer anboten – meine Shorts und das ärmellose Shirt hatten offenbart, dass ich langsam erwachsen wurde. Was in der angelsächsischen Welt klar mit neuen Hygiene-Regeln verbunden war.
Zu Hause fiel ich zurück in den entspannten Look natürlicher Behaarung, in meiner Generation galt Rasieren weiterhin als persönliche Geschmacksache, ähnlich dem männlichen Bart. Es sei denn, man wollte seine Sommerferien in den USA verbringen! Ich akzeptierte das Rasieren als kulturelle Bedingung, so wie ich mir klaglos Arme und Kopf bedeckt hatte auf einer Ägypten-Reise mit meinem Vater einige Jahre zuvor.
Feministisch oder bloss nachlässig?
Dann kam es zu einer denkwürdigen Konversation mit einem jungen Kollegen, Anfang der Neunzigerjahre, in der Kaffee-Küche unserer Redaktion. Ob er mich etwas fragen dürfe? Ob meine unrasierten Beine ein radikal-feministisches Statement seien – oder ob ich einfach nur der nachlässige Typ Frau sei …? Ich begriff, dass etwas, das ich bis dahin als private Präferenz verstanden hatte, nun als Statement interpretiert wurde. Und kaufte mir noch am gleichen Tag einen Damen-Rasierer der Marke Venus.
Es folgten Jahrzehnte, in denen unser weibliches Selbstverständnis von Serien wie «Sex and the City», durchtrainierten Filmstars und Victoria's-Secret-Models geprägt wurde: Wir waren so fit wie möglich, unsere Körper makellos, selbst Falten zu haben, stand auf dem Pflege-Index, seit man sich die an jeder Strassenecke wegspritzen lassen konnte.
Mein Haar gehört mir!
Und nun: Tritt eine Generation junger Frauen an, die das Rasieren neu in Frage stellt. Feministisch sind sie sowieso, engagiert für ihre politischen Ziele obendrein – ab sofort nehmen sie sich auch die Freiheit, über ihre Körperbehaarung selbst zu bestimmen. Aus den Waxing-Studios der westlichen Welt hört man von sinkenden Umsätzen, lediglich ihre «Bikini-Zone» lassen die Teenager von heute offenbar nach wie vor in Form bringen.
Sind wir mal gespannt, ob sich dieser Trend etablieren kann – immerhin waren auch auf einigen Laufstegen Models mit sorgsam frisierten Achseln zu bewundern!
Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyle-Produkte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag im Blick und auf feldmanntrommelt.com