Kolumne «Wild im Herzen» über die Tüpfelhyäne
Clan-Anführerinnen mit Pseudopenis

Bei den Tüpfelhyänen liegt die Macht in den Pfoten der Weibchen. Dass ihre Klitoris fast so gross ist wie ein Penis, hat nicht nur Vorteile.
Publiziert: 21.05.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 03.06.2021 um 14:10 Uhr
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Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Rodriguez/NMBE
Simon Jäggi

Mammaloginnen und Mammalogen nennen sich Menschen, die sich morgens ans Pult setzen und sich den ganzen Tag mit Säugetieren beschäftigen. Sie wissen zum Beispiel, dass bei Säugetieren meist die Männchen grösser und stärker sind. Und sie wissen auch, warum dem so ist: wegen der Evolution. Stattliche Männchen haben oft grössere Paarungschancen. Und so hat sie die Evolution über Jahrtausende wachsen lassen. Aber wenn sich die Säugetierforschenden nach dem ersten Kaffee an die Arbeit machen, ist ihnen auch bewusst: Die Natur ist stets komplexer, als wir denken – und voller Ausnahmen.

Eine solche Ausnahme ist die Tüpfelhyäne. Hier sind Weibchen und Männchen äusserlich kaum zu unterscheiden. Früher glaubte die Wissenschaft sogar, Hyänen seien Zwitter und könnten ihr Geschlecht wechseln. Das stimmt zwar nicht, allerdings werfen sie vieles über Bord, was wir gemeinhin über Geschlechter zu wissen glauben.

Pseudopenis als Geburtskanal

So besitzen weibliche Tüpfelhyänen einen Pseudopenis. Es handelt sich hierbei um eine stark vergrösserte Klitoris, die fast die Grösse eines männlichen Penis erreicht und ebenfalls erigieren kann. Weibchen pinkeln auch durch den Pseudopenis. Und werden durch ihn hindurch begattet. Was anatomisch anspruchsvoll klingt, ist es auch. So ist es Männchen auch nicht möglich, die Paarung zu erzwingen – was bei Säugetieren durchaus vorkommt. Das Weibchen bestimmt selbst, ob es zur Kopulation bereit ist.

Für die Weibchen hat der Pseudopenis auch Nachteile. So müssen sie ihren Nachwuchs hindurch gebären, was zu schweren Verletzungen führt, die erst nach Wochen verheilen – oder sogar zum Tod führen. Warum die Evolution dieses Phänomen hervorgebracht hat? Da sind sich sogar Mammaloginnen und Mammalogen nicht gänzlich sicher.

Die Macht der Gang-Leaderinnen

Was die Wissenschaft inzwischen besser versteht, ist, warum bei Tüpfelhyänen die Weibchen das starke Geschlecht darstellen. Im Gegensatz zu anderen Säugetieren hängt der Rang einer Hyäne innerhalb des Clans nicht von Grösse oder Kampfkraft ab, sondern von der Unterstützung durch andere Clan-Tiere. Da Männchen häufiger die Gruppe wechseln, fehlen ihnen die wichtigen Verwandtschaftsbeziehungen. Man kann sich eine Tüpfelhyänen-Gang also durchaus wie einen Mafia-Clan vorstellen – mit dem feinen Unterschied, dass die Bosse allesamt Weibchen sind.

Simon Jäggi (41) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern.

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