Kolumne «Wild im Herzen»
Stay the fuck at home

Social Distancing ist für den Landeinsiedlerkrebs keine Corona-Massnahme, sondern Alltag. Einige Arten haben sogar längere Penisse entwickelt, damit sie das Haus nicht verlassen müssen.
Publiziert: 23.04.2020 um 22:45 Uhr
Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
Simon Jäggi

Meine Nachbarin ist eine Dame im Risikogruppen-Alter. Sie verfügt über einen Mops, einen Dackel und schwarzen Humor. Gerne legt sie mir Zettelchen vor die Türe. Kürzlich wieder. Darauf stand: «Wenn das alles vorbei ist, gönne ich mir ein paar ruhige Tage zu Hause.»

Der Lockdown wird lockerer, aber «Stay at home» lautet noch immer die Devise. Wenn einer damit gar kein Problem hat, ist es der Landeinsiedlerkrebs. Social Distancing – für ihn der ganz normale Alltag.

Das Zuhause ist schnell zu klein

Wie der Name schon sagt: Landeinsiedlerkrebse verbringen den grössten Teil ihres Lebens an Land. Im Wasser würden sie auf Dauer ertrinken. Nur zum Laichen zieht es die Weibchen ins Wasser, oftmals in grosser Anzahl – gesteuert vom Mond. Ihre Eier legen sie ins Meer, die Larven wachsen zu kleinen Krebsen heran und wandern wieder an Land.

Dort suchen sie nach einem Schneckenhaus. Allzu gemütlich einrichten können es sich die Krebse darin aber nicht. Da sie rasch wachsen, schauen sie sich immer wieder nach einem grösseren Zuhause um.

Häuschentausch der Krebse

Der Karibische Einsiedlerkrebs Coenobita clypeatus hat daher eine Art Wohnungsbasar entwickelt. Findet er ein leeres Haus, das ihm nicht genau passt, lässt er es nicht etwa links liegen – stattdessen wartet er stundenlang auf andere Wohnungsinteressenten. In der Folge reihen sich die Tiere der Grösse nach auf und testen das neue Heim. Wem es passt, zieht ein – und hinterlässt dadurch sein altes Kabäuschen. Es folgt ein kollektiver Umzug: Der Reihe nach wechseln die Tiere in die nächstgrössere Behausung.

Das Stubenhockertum der Landeinsiedlerkrebse hat aber noch zu einem anderen amüsanten Phänomen geführt. Arten, die ihr Haus aufwendig umbauen, haben einen grösseren Penis. Dies hat ein Wissenschaftler entdeckt, der bei 328 toten Einsiedlerkrebsen aus Museen die Penislänge nachgemessen hat.

Risikoreiche Schäferstündchen

Sein Fazit: Im Laufe der Evolution haben gewisse Krebsarten längere Penisse entwickelt, damit sie beim Schäferstündchen das Haus nicht verlassen müssen. Es sind jene Krebsarten, die ihre Schalen in Heimwerker-Manier anpassen, sich dadurch aber auch weniger gut daran festhalten können. Die Schäferstündchen sind nämlich stets mit dem Risiko verbunden, dass einem in der Zwischenzeit ein Artgenosse das Haus klaut. In diesem Sinne: Stay the fuck at home.

Simon Jäggi (40) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

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