Kolumne «Wild im Herzen»
Der iberische Irrtum

Schliefer sind so gross wie Hasen, ähneln den Murmeltieren – und sind mit dem Elefanten verwandt. Zudem sind sie schuld, dass es in der Bibel von Kaninchen wimmelt.
Publiziert: 22.05.2019 um 23:18 Uhr
Simon Jäggi, Mitarbeiter Naturhistorisches Museum Bern.
Foto: Thomas Buchwalder
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Simon JäggiSänger der Rockband Kummerbuben

Hühner stammen von Dinosauriern ab, und Falken sind enger mit Papageien verwandt als mit Greifvögel. Die Natur hat überraschende Verwandtschaften auf Lager. Der seltsamste Fall: Die nächsten Verwandten von Elefanten sind – Schliefer.

Nie gehört? Da sind Sie in bester Gesellschaft, aber dazu später. Schliefer sind so gross wie Hasen, ähneln den Murmeltieren, gehören aber nicht zu den Nagetieren. Zusammen mit den Elefanten und den Seekühen bilden sie die Gruppe der «Beinahe-Huftiere». Ähnlichkeiten sind spärlich vorhanden. So sind Elefanten und Schliefer beides Sohlengänger, die an ihren Beinen Nägel tragen. Die Wissenschaft hat sich an den Schliefern jahrhundertelang die Zähne ausgebissen. Ein Gelehrter steckte sie in die Familie der Meerschweinchen, ein anderer zu den Mäusen. Erst genetische Untersuchungen belegten die seltsame Verwandtschaftsbeziehung. 

Neben dem Klippschliefer gibt es Baum- und Buschschliefer (mehrere Arten und Unterarten). Der Klippschliefer kommt auch in Vorderasien vor, alle anderen leben in Afrika. Was alle Schliefer verbindet, ist ihre Vorliebe für pflanzliche Kost, für Harems und Reviere, die sie mit lauten Rufen verteidigen.

Die Schliefer haben aber auch in der Sprache ein Wirrwarr angerichtet. Sie sind nämlich der Grund, warum Spanien Spanien heisst und es in der Bibel von Kaninchen wimmelt. Zum iberischen Irrtum: Als die Phönizier tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung in spanischen Gefilden landeten, fielen ihnen die vielen Kaninchen auf. Sie hielten diese für «shaphan» – im Nahen Osten die Bezeichnung für Klippspringer. Daher nannten sie das neue Land «I-shaphan», woraus die Römer später Hispania machten. Es ist nicht anzunehmen, dass vielen Spaniern bewusst ist, dass sie im «Land der Klippspringer» leben. 

Die Kaninchen kannte er gut, nicht vertraut war Martin Luther dagegen mit den  Klippspringern. Zweieinhalb Tausend Jahre nach den Phöniziern unterlief ihm ein ähnlicher Lapsus – nur in entgegengesetzter Richtung. Weil ihm das Tier nicht bekannt war, entschied er sich, «shaphan» mit «caninchen» zu übersetzen. So finden sich in der Luther-Bibel nun Kaninchen, wo eigentlich mal Klippspringer waren. Ein kleiner, aber weiterer Beleg dafür, dass man die Bibel nicht allzu wörtlich nehmen sollte.


Simon Jäggi (39) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. 

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