Kolumne «Weltanschauung» von Giuseppe Gracia
Der Judenhass nimmt zu

Antisemitismus zeigt sich nicht immer so plakativ wie kürzlich mit dem Hakenkreuz an der Tür zur Bieler Synagoge. Doch die weniger offensichtlichen Formen sind genauso widerlich, gefährlich und zu verurteilen – bloss geschieht das viel zu wenig.
Publiziert: 01.03.2021 um 11:01 Uhr
Giuseppe Gracia, Medienbeauftragter des Bistums in Chur.
Foto: Thomas Buchwalder
Giuseppe Gracia, Medienbeauftragter des Bistums in Chur.
Foto: Thomas Buchwalder
Giuseppe Gracia

In einigen Ländern Europas nimmt der Hass auf Juden zu, besonders unter dem Deckmantel der Israel-Kritik. Der Hass kommt von rechten Antisemiten und auch von Migranten aus islamischen Ländern, wo die Feindschaft gegenüber Juden und Israel zum Programm gehört.

Das neuste Schweizer Beispiel: ein Hakenkreuz mit Nazi-Parolen an der Tür der Synagoge in Biel. Seit Beginn des Jahres ist dies in der Schweiz bereits der vierte antisemitische Vorfall. Laut dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) hat der Antisemitismus im Zug der Corona-Krise Aufwind. Hinzu kommt der zunehmende Anti-Israelismus.

Die Uno veröffentlicht jedes Jahr mehr Resolutionen gegen Israel als gegen alle anderen Länder. Rechnet man alle Resolutionen gegen China, Nordkorea, Syrien, Russland, Iran, Saudi-Arabien und die Hamas zusammen, kommt Israel immer noch schlechter weg. Man misst mit zweierlei Mass, um eine allgemeine Stimmung gegen Israel zu erzeugen. Hier spielen linke und grüne Politiker eine traurige Rolle. Ebenso viele Medien, wenn sie einseitig gegen Israel berichten und die Hamas, den Iran oder andere totalitäre Regimes nicht halb so kritisch beurteilen.

Antisemitismus kennt viele Formen

Wir alle haben hier eine Verantwortung. Wir sollten unsere Stimme erheben und klarstellen: Wer Israel für Dinge kritisiert, die er bei anderen Staaten akzeptiert, ist ein Antisemit. Wer Verschwörungstheorien verbreitet, in denen jüdische Superreiche die Welt unterjochen, ist ein Antisemit. Wer die arabische Welt als Opfer des jüdischen Weltkapitalismus skizziert, ist ein Antisemit. Wer behauptet, die Fehler der israelischen Regierung seien verantwortlich für den Judenhass, ist ein Antisemit. Wer behauptet, der Reichtum einzelner Juden sei die Ursache von Judenverfolgung, ist ein Antisemit.

Würden wir in diesem Sinn öfter Position beziehen und unsere Politiker oder Medien in die Verantwortung nehmen, könnten wir vielleicht verhindern, dass der Judenhass in Europa einmal mehr salonfähig wird. Wir könnten gegen das ankämpfen, was der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890–1935) schon vor dem Zweiten Weltkrieg sah: «Der Kleinbürger hat drei echte Leidenschaften: Bier, Klatsch und Antisemitismus.»

Giuseppe Gracia (53) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Sein neuer Roman «Der letzte Feind» ist erschienen im Fontis Verlag, Basel. Er schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.

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