Bekanntlich möchte die CVP ihr C abwerfen und «Die Mitte» werden. Ein interessanter Name. Aber ist es ein Name mit Inhalt? Eher nicht. Denn wer in der Mitte stehen will, muss sich an anderen orientieren. An Parteien auf der linken und rechten Seite des Spektrums. Er muss schauen, wo diese Parteien stehen, um aus ihren Positionen eine politische Mitte ableiten zu können.
So gesehen bedeutet Mitte: keine eigenen Positionen bieten, sondern einen Mittelwert aus den Positionen anderer. Eine solche wohlkalkulierte Politik kann man als vernünftig betrachten. Mit den Worten des französischen Mathematikers Blaise Pascal: «Die richtige Mitte ist eine Suche zwischen falschen Extremen.» Passend dazu prägte der altrömische Denker Horaz das Bild von der goldenen Mitte, lateinisch Aurea Mediocritas.
Spielball der Pole
Doch «Mediocritas» bedeutet auch Mittelmässigkeit, Bedeutungslosigkeit. Das könnte einer Partei drohen, die ihre Überzeugungen von anderen abhängig macht. Eine solche Partei wird wohl kein mächtiges «Reich der Mitte» werden, wie man China nennt. Eher wird sie der Spielball der Pole, die das politische Feld definieren.
Und viel Liebe bekommt eine Partei der Mitte auch nicht. Denn sie definiert sich ja selbst als vernünftige Mitte und sagt damit den anderen zumindest indirekt, sie sei weniger unvernünftig, unausgewogen oder extrem. Ein starkes Stück, wenn man selber inhaltsleer und moralisch flexibel ist, stets bereit, sich im Koordinatennetz neu zu positionieren.
Ermüdende Marketing-Gefechte
Am Ende ist das alles aber wohl kein besonderes Problem der CVP, sondern überhaupt der modernen Politik. Es herrscht Pragmatismus statt Gedankenarbeit. Konsens statt Überzeugung. Machtpoker statt Gemeinwohl. Und wenn es wirklich einmal um Inhalte geht: Ideologie statt Wettbewerb der Ideen.
Verständlich, wenn die Bevölkerung einer solch opportunistischen Politik nicht über den Weg traut, wenn sie gleichgültig wird gegenüber den ermüdenden Marketing-Gefechten der Parteipolitik. Die meisten Menschen hätten lieber eine Politik nach dem Motto des antiken Denkers Cicero: «Der Staatsdienst muss zum Nutzen derer geführt werden, die ihm anvertraut sind, nicht zum Nutzen derer, denen er anvertraut ist.»
Giuseppe Gracia (53) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Sein neuer Roman «Der letzte Feind» ist im Fontis Verlag, Basel, erschienen. In der BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.