Kolumne «Weltanschauung»
Applaus ja, Geld nein?

Ärzte und Pflegende brauchen mehr Anerkennung statt bloss Applaus. Das Gesundheitswesen wird krank, wenn man es gesundspart.
Publiziert: 26.04.2020 um 23:22 Uhr
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Aktualisiert: 26.04.2021 um 18:44 Uhr
Giuseppe Gracia, Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur.
Foto: Thomas Buchwalder
Giuseppe Gracia

Am 20. März haben viele Menschen öffentlich applaudiert, in allen Schweizer Städten. Applaudiert für Ärzte und Pflegepersonal, für Angestellte in Altersheimen, Rettungsdiensten oder Apotheken, die gegen die Verbreitung des Coronavirus kämpfen und dabei eigene Gesundheitsrisiken eingehen. Für viele Angestellte war das aber ein kleiner Trost. Denn sie arbeiten oft unter Hochdruck mit Überstunden, vergleichsweise tiefen Löhnen und später tieferen Renten.

Das hat mit Sparmassnahmen zu tun, wie sie in der Schweiz seit Jahren stattfinden. Gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat der Bundesrat die Kosten um mehrere Hundert Millionen Franken pro Jahr gesenkt. Auch viele Kantone haben mehrere Hundert Millionen jährlich gespart.

Das Spital als Firma

Das entspricht dem Trend zur Ökonomisierung von Gesundheit und Pflege. So wird etwa das Konzept des New Public Management auf öffentliche Spitäler angewendet: Krankenhäuser müssen wie Unternehmen handeln. Sie müssen Kosten sparen durch Preisdruck, Wettbewerb, Privatisierung.

Das führt dazu, dass beim Personal und bei der Infrastruktur gespart wird. Das bedeutet weniger Betreuungszeit und weniger Betreuungsraum, dafür mehr Stress für zusammengesparte Abteilungen. Dies betrifft nicht nur Spitäler, sondern auch psychiatrische Kliniken und andere wichtige Einrichtungen.

Anders denken, anders handeln

In diesen Bereichen wird das Sparen, auch ohne Corona, in Zukunft jedoch immer schwerer. Die Kosten werden vielmehr steigen. Zum einen wegen des medizinisch-technischen Fortschritts, der nicht gratis ist, zum anderen wegen der demografischen Entwicklung: Die Zahl der über 80-Jährigen in der Schweiz wird sich bis 2045 mehr als verdoppeln. Ausserdem nehmen psychische Erkrankungen zu. Das hängt mit unserem optimierten, digitalisierten Lebensstil zusammen, der nicht nur zu Stress oder Burnout führt, sondern auch zu sozialer Kälte und Einsamkeit.

Das kann man nicht lösen, indem man einmal im Jahr Ärzten und Pflegenden applaudiert. Es braucht ein Umdenken. Der Mensch ist mehr als seine Funktionen, Systeme und Rechnungen. Eine Gesellschaft, die das vergisst, hat früher oder später wesentlich grössere Probleme. Oder mit den Worten des Naturheilkundlers Sebastian Kneipp (1821–1897): «Wer keine Zeit für seine Gesundheit hat, wird später viel Zeit für seine Krankheiten brauchen.»

Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.

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