Ich gehöre zu den erklärten Weihnachtsfans, freue mich schon Ende August über das erste Weihnachtsgebäck im Supermarkt und steigere mich spätestens ab Anfang November in einen sentimental-rührseligen Gemütszustand, wie man ihn sonst nur bei werdenden Grosseltern antrifft.
Apropos: Da ist ja nun in diesem Jahr vieles nicht möglich – die erweiterte Familie, vor allem die älteren Mitglieder, wird man nicht besuchen wollen. Adventspartys im Freundeskreis entfallen genauso wie Weihnachtsfeiern im Büro. Last-minute-Shopping in vollgestopften Geschäften, eine schöne Tradition, wie der Stau vor dem Gotthardtunnel am ersten Ferien-Wochenende, ist verpönt, das Fondue-Tram als Hotspot diffamiert, die Mitternachtsmesse am Heiligen Abend in Kleingruppen gestaffelt.
Da hilft es, sich klarzumachen, was eben dennoch an diesem leicht getrübten Weihnachtsfest möglich ist. So leuchten bei uns auch in diesem Jahr ein aufwendig geschmückter Baum und manche zusätzliche Illumination um die Wette (zum Beispiel ein Neon-Reh vom Flohmarkt!) – nur ist das zum ersten Mal auch von der Gasse aus sichtbar. Im ersten Lockdown haben wir gelernt, unsere Nachbarn als Ersatzfamilie zu schätzen, also schmücken wir jetzt auch für sie unsere Fenster und Türen statt immer nur das eigene Wohnzimmer.
Die besten Wünsche, aber ehrlich
Unserer patriotischen Pflicht zum lokalen Konsum kommen wir dadurch nach, dass wir grosszügiger denn je schenken. Wenn wir Kinder und Eltern schon nicht mit unserer Anwesenheit beglücken können, verwöhnen wir sie für einmal ganz profan. Selbst kleine Läden haben den Sommer über online aufgerüstet und schicken liebevoll ausgewählte Präsente hübsch verpackt durch die Gegend.
Wie wäre es mit Weihnachtskarten? In all der Zeit, die wir gewonnen haben, lässt sich doch sicher Originelleres formulieren als in früheren Jahren – ehrlicher sind unsere guten Wünsche sowieso.
Frohe, fortschrittliche Weihnachten!
Dann ist da noch die Telefonliste am Heiligen Abend, die man alljährlich abarbeitet, von der Gotte im Ausland bis hin zu den Stiefkindern in ihren Parallel-Universen: Organisieren Sie doch ein lustiges Zoom-Meeting mit allen gleichzeitig, kurz nachdem sie sich feierlich in Schale geworfen haben. Das beherrschen Senioren wie Kindergarten-Kinder seit diesem unheilvollen Jahr, immerhin.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen frohe, fortschrittliche Weihnachten – und ein glücklicheres neues Jahr.
Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyle-Produkte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag hier und auf Instagram unter feldmanntrommelt. Zu hören ist sie im BLICK-Podcast «Bikini».