Mit zehn Jahren bekam ich die erste Brille verpasst. Meine Oma hatte mich im Theater dabei beobachtet, wie ich die Augen zusammenkniff, um dem Kinderballett auf der Bühne zu folgen. Eine Woche später trug ich ein hellbraunes Horngestell, durch das ich zwar die Welt um mich herum bis aufs letzte Blatt am Baum erkennen konnte – das ich aber, so oft es ging, in der Tasche liess. Das Letzte, was ich sein wollte, war eine «Brillenschlange», eine «Streberin». Das galt erst recht, als ich alt genug wurde, um in halbdunklen Clubs herumzustehen. Also – bekam ich Kontaktlinsen.
Damals gab es genau zwei Menschen, die man trotz Brille attraktiv fand: Ali MacGraw in «Love Story» und Woody Allen in all seinen Filmen. Wobei: Woody Allen fand man vor allem toll, weil er Diane Keaton von sich überzeugt hatte, und die Jenny in «Love Story» sah auch ohne ihre grosse Lesebrille sehr, sehr hübsch aus. Beide bedienten das Klischee: Gebildet sein macht kurzsichtig, oder anders herum: Wer eine Brille trägt, ist schlau.
Ob das immer noch gilt? Wer weiss!
Brille mit Trainerhose
Fest steht, dass Brillen in jüngerer Vergangenheit von immer mehr Frauen getragen werden, deren Gesichter Berühmtheit erlangten, weil sie als makellos galten – der jeweilige Intelligenzquotient stand dabei nicht zur Debatte.
Jennifer Aniston etwa oder Julia Roberts sieht man neuerdings mit Brille über den roten Teppich laufen. Kate Moss und Heidi Klum kombinieren ihre Modelle zu Sneakers und Trainerhosen, als Tüpfelchen auf dem i ihres Casual Looks. Anne Hathaway, Demi Moore oder Gwyneth Paltrow tragen ihre überdimensionalen Brillengestelle selbstbewusst auf beinahe jedem Post ihrer Instagram Accounts.
Klar, die Altersweitsichtigkeit mag eine Rolle spielen. Aber hier könnten einmal mehr Kontaktlinsen lindern oder eine verfeinerte Lasertechnik.
«Nerd» im Gesicht
Das offensive Vor-sich-her-Tragen einer Brille hat offenbar mit einem veränderten Selbstbewusstsein zu tun. Und einem Image-Zugewinn von Leseratten. So genannte «Nerd»-Brillen jedenfalls traten von den Nasen der New Yorker Galeristinnen herunter ihren Siegeszug an in die amerikanische Film- und Fernsehszene, um am Ende in den Gesichtern europäischer Influencer zu landen.
Und lassen uns jetzt alle ein wenig smarter daherkommen. Um nicht zu sagen: Wir sehen, statt dass wir nur gesehen werden.
Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyle-Produkte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag im BLICK und auf ihrem Blog feldmanntrommelt.com