Als ich etwa siebzehn war, geriet unser Familienbrunch am Sonntag in Gefahr. Meine Mutter bestand auf «spätestens» halb elf, mein Vater auf frisch geduscht – und ich kämpfte nach langen Party-Nächten um jede Minute länger im Bett. Schliesslich fanden wir einen Kompromiss: Ich hatte bis «spätestens» elf Uhr zu erscheinen, und zwar frisch geduscht – doch das zeitraubende Styling meiner Teenagerjahre durfte ich abkürzen: Bademantel war erlaubt.
Der musste natürlich oversized sein, wie alles, was ich damals trug. Also wickelte ich mich in das himmelblaue Frottee-Model meines Vaters und fühlte mich wie Julia Roberts in «Pretty Woman». Sie wissen schon, die Szene im «Beverly Wilshire»-Hotel, als sie Richard Gere zum Frühstück mit ihrer roten Löwenmähne überrascht.
Im Lauf der nächsten Jahre begegnete ich hin und wieder einem dieser Hotel-Bademäntel persönlich, einmal erstand ich sogar einen, im «Montreux Palace», weil er mich an den von meinem Vater erinnerte.
Dann verschwand der schlichte, meist weisse Frotteemantel zusehends aus den Hotelzimmern und wurde mit kimonoartigen Modellen in Waffelpiqué ersetzt. Offenbar galten die als passendere Begleiter in die nun ebenfalls in jedem Hotel obligatorischen Spa-Bereiche.
Comedy-Shows und Krankenhaus-Serien
Gleichzeitig geriet das klassische Modell zum Utensil von Sozialhilfe-Empfängern, wie sie in Comedyshows dargestellt wurden: über dem Unterhemd getragen, links Bierflasche, rechts Zigarette. Oder bunt gemustert in Krankenhaus-Serien, dort oft vorgeführt von älteren, um nicht zu sagen: vulnerablen Mitmenschen.
In Filmen trugen die Hauptdarstellerinnen jetzt entweder sein Hemd zum Frühstück (falls die Szene in einem Hotel spielte) oder zu Hause einen Hoodie über T-Shirt und Pyjamahosen.
Dann kam dieses verflixte letzte Jahr. Mit seinen Homeoffices und Zoom-Partys und den neuen Ist-jetzt-doch-auch-schon-egal-Dresscodes. Kapuzenshirts, seine Hemden, Jogginghosen: trugen wir ohnehin die ganze Woche. Mir wurde klar, dass ich ein Utensil brauchte, um meinen Sonntags-Schlendrian zu feiern.
Online fand ich ein Triple-X-Modell aus blauem Frottee. In meinen Lieblings-Ohrensessel gelümmelt, ein Frühstückstablett zu Füssen, fühle ich mich nun sonntags zu Hause wieder ein wenig wie Pretty Woman im Fünfsternehotel. Home Suite Home.
Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyleprodukte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag hier und auf Instagram unter feldmanntrommelt. Zu hören ist sie im BLICK-Podcast «Bikini».