Kolumne «So ein Ding!»
Kann ein Pullover aus Kaschmir-Resten die Welt retten?

Ständig kommen neue Mode-Kollektionen auf den Markt, dauernd sollen wir neue Kleider kaufen – eine enorme Materialverschwendung. Es ginge auch anders. Und erst noch mit Stil.
Publiziert: 17.07.2020 um 22:55 Uhr
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Aktualisiert: 27.11.2020 um 23:39 Uhr
Lisa Feldmann, Kolumnistin.
Foto: Zvg
Lisa Feldmann

Wenn ich die Königin der Welt wäre, würde ich in den nächsten fünf Jahren verbieten, neue Kleider herzustellen.

Den Näherinnen in Bangladesch oder Südindien würde das nicht schaden: Statt vier- bis sechsmal im Jahr neue Kollektionen zu fabrizieren, entstünden durch die kreativen Visionen unserer geschätzten internationalen Designer zwar nur noch zweimal im Jahr neue Entwürfe, das Prozedere der Herstellung wäre dafür aufwendiger, es gäbe also immer noch genug zu tun.

Die Materialien vergangener Saisons würden retourniert, vor Ort geprüft, neu zugeschnitten, gefärbt, genäht. Und nicht wie bisher zum grössten Teil vernichtet.

Medien und Influencer würden sich klar zum Verzicht auf ewig Neues bekennen, diese Art von altmodischem Konsumverhalten sogar ausdrücklich ablehnen und stattdessen den Classic Style feiern: etwas länger als drei Monate tragen und dennoch chic darin auszuschauen.

Das würde ich denen einfach verordnen, als eines unter anderen Notstandsgesetzen, um unseren Planeten vielleicht doch noch zu retten. Und natürlich würden sich alle daran halten.

Stella McCartney zeigts

Und wäre nicht gerade jetzt ein idealer Moment? Die Lagerhäuser sind voller Frühlingsmode, die in den vergangenen zwei Monaten nicht verkauft werden konnte. Die Corona-Krise hat uns, die allmächtigen Konsumenten und Konsumentinnen, noch dazu zögerlich gestimmt: Wir werden absehbar nicht zum reinen Zeitvertreib die Einkaufsmeilen entlangflanieren, schon weil wir gerade andere Sorgen haben.

Eine Designerin, immerhin, scheint von meiner Utopie Wind bekommen zu haben. Die Britin Stella McCartney, die sich seit Jahrzehnten mit ihrer Modelinie nicht nur Freunde macht, weil sie weder Pelz noch Leder verarbeitet, hat jetzt einen interessanten Weg gefunden, ihre klassischen Kaschmir-Pullover auf neue Art herzustellen: Sie verwendet ausschliesslich Wolle, die in den italienischen Strickereien als Abfall betrachtet und daher normalerweise vernichtet wird.

Nachhaltigkeit muss warten

Ob dieser nicht gerade günstige «Regenerated Cashmere Jumper» sich durchsetzen kann, wird sich noch erweisen müssen.

Die grossen Beraterfirmen gehen momentan davon aus, dass nach der aktuellen Krise alles hinter der Grundsicherung des blanken Überlebens zurückstehen wird: Die meisten Firmen werden nicht im Traum daran denken, ihre Ressourcen aufzubieten, um Herstellungsprozesse und Vertriebswege zu optimieren. Um Nachhaltigkeit werde man sich dann wieder in besseren Zeiten kümmern.

Wann immer das sein mag.

Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyle-Produkte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag im BLICK und auf ihrem Blog feldmanntrommelt.com

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