Als ich vor vielen Jahren in die Schweiz zog, musste ich nicht nur eine neue Sprache lernen. Hatte ich bis dahin gedacht, meine angeheiratete Familie unterhielte sich auf Schweizerdeutsch, begriff ich in der ersten grossen Konferenz unter neuen Kollegen, dass es völlig unterschiedliche Dialekte gibt.
Noch etwas anderes lernte ich schnell: Die entspannte Weise, in der Frauen jeden Alters in Deutschland Make-up einsetzten, galt in Zürich, wo ich jetzt morgens zum Büro pendelte, als quasi ungeschminkt. Foundation, Rouge, Lippenstift, Lidstrich, Wimperntusche und verschiedene Schichten Lidschatten verliehen den Frauen in meinem Tram den Look, den Berlinerinnen oder Hamburgerinnen frühestens ab 20 Uhr anlegten – und auch das eigentlich nur an Silvester.
Ich legte mir also auch ein kleines Beauty-Arsenal zu, benutzte ab jetzt zumindest die grundlegenden Produkte. Ich wollte tun, was die Schweizerinnen tun – wenn es mir denn schon so schwerfiel, ihre Sprache anständig zu lernen.
Generation Z ist anders schön
Anfangs berieten mich versierte Freundinnen oder geschulte Verkäuferinnen, später lernte ich von den Töchtern meiner Freundinnen, Youtube-Tutorials zu nutzen.
Und jetzt ist auf einmal alles anders. Eine neue Generation Z ist in unserer Konsumwelt angekommen (bis 2030 rechnet man mit ihrer Weltherrschaft), und ihr Kaufverhalten zeugt von einem ganz anderen Trend. Statt ihr schmales Budget für Fehler überdeckende Produkte auszugeben, glauben sie an die Vorteile gesunder Haut und damit an Cremes und Seren, die diesem Bedürfnis entsprechen. Sie teilen in ihren sozialen Netzwerken die Glaubwürdigkeit von Wirkungsversprechen, vergleichen Preise und Inhaltsstoffe und ruinieren schon mal eine Marke innerhalb kürzester Zeit: Wer nicht nachhaltig genug produziert oder zu wenig gesellschaftliches Engagement zeigt, dem wird brutal abgeschworen.
Wer glaubt Kim Kardashian?
Sogenannte Nischen-Influencer spielen hier eine entscheidende Rolle, denn an die Qualitäten der Beauty-Produkte von Kim Kardashian oder Rihanna mag vielleicht die eigene Mutter glauben, aber die hält schliesslich auch «Sex and the City» immer noch für eine weltanschaulich moderne Fernsehsendung.
Mir gefällt das natürlich. Am Ende hält man mich noch für eine echte Schweizerin, ungeschminkt unter Ungeschminkten. Jedenfalls solange ich den Mund halte.
Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyle-Produkte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag hier und auf Instagram unter feldmanntrommelt. Zu hören ist sie im BLICK-Podcast «Bikini».